Identitätsarbeit unter Druck. Mit welchen Praktiken bearbeiten überschuldete Menschen aus der Mittelschicht ihre gefährdete soziale Identität und welche Handlungsoptionen und Handlungsrestriktionen erwachsen daraus?
Final Report Abstract
Das Forschungsvorhaben hatte zum Ziel, typische Aspekte der Identitätsarbeit unter Überschuldungsdruck herauszuarbeiten. Es wurde der Frage nachgegangen, welche Identitätsarbeit überschuldete Menschen aus der Mittelschicht leisten müssen, - um im Zuge des bedrohten oder bereits stattgefundenen sozialen Abstiegs - Orientierung und Handlungsfähigkeit zu behalten und insbesondere wie sie diese vor dem Hintergrund der erheblichen Herausforderungen, die sich aus dem Überschuldungsprozess ergeben mittels Interaktion und Kommunikation gestalten. Die zentralen Forschungsfragen in diesem Zusammenhang waren: Wie gehen Menschen, die aus gesicherten Verhältnissen kommen, mit der Situation der Überschuldung um? Wie bewältigen Paare (bzw. Familien) ihren Alltag unter den gegebenen Bedingungen, welche Strategien entwickeln sie? Wie bewahren sie ihre Identität bzw. wie bauen sie diese um? Das Forschungsvorhaben wurde in einer qualitativ angelegten Paneluntersuchung über drei Jahre hinweg umgesetzt. In drei Wellen in ca. neunmonatigem Abstand wurden insgesamt vierzehn Paare und drei Einzelpersonen in leitfadengestützten Einzel-Interviews befragt. Paare der Mittelschicht sind in ihren Haltungen an die eingeschliffenen Anforderungen einer Mittelschichtzugehörigkeit gebunden. Fehlende Mittel motivieren erst einmal nicht, sich einer anderen Schicht anzuschließen, sondern weiter so zu machen - mit dem, was geblieben ist (Bildung, Ehrenamt, Konsum, Familienbezug, Mittelschichtersatztätigkeiten etc.). Es gibt für Protagonist_innen kaum andere Ordnungen, an denen sie sich orientieren könnten; dafür gibt es eine Insolvenzordnung, die bei Überschuldung hilft. Diese bleibt Orientierungspunkt und ermöglicht Insolvenz/ Überschuldung als Phase zu erkennen, die überwunden werden kann. Sich (neu) zu erfinden bzw. sich sozial neu zu finden und dort festzustellen wird weitgehend unnötig - ebenso wir es nicht notwendig, die gesellschaftliche Ordnung umzuinterpretieren. Wenn in einigen Fällen eine Neuorientierung an neuen Sinnwelten erfolgte, die Identität stabilisieren, dann waren das mittelschichtaffine Welten wie Religion, Esoterik etc. Solche Neuorientierungen waren jedoch quantitativ nachrangig gegenüber der Kategorie des gleichbleibenden Weiter-So ist. Auch wenn mit den Anforderungen der Insolvenz immer auch ein ‚Wachsen/Verändern‘ verbunden war, soll dieses Anders-werden aber im Kontext des Gegebenen, der vorhandenen Sinn-Ordnung der Mittelschicht geschehen.
Publications
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