Verarbeitungskomplexität und die Variation zwischen analytischen und synthetischen Formen im Englischen
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Natürliche Sprachen weisen häufig Fälle auf, in denen sich Sprechende zwischen zwei verschiedenen möglichen Varianten entscheiden können, welche sich zwar strukturell unterscheiden, jedoch vollständig oder weitestgehend bedeutungsgleich sind. Ein Beispiel aus dem Englischen stellt die Komparativalternation dar, bei der Sprechende etwa zwischen wealthier und more wealthy wählen können, wenn sie den Komparativ des Adjektivs wealthy formen wollen. Hierbei ist wealthier als morphologische Bildung aus dem Stamm wealthy und dem Suffix -er zu analysieren. Diese Variante produziert somit ein einzelnes morphologisch komplexes Wort und wird daher als synthetische Variante bezeichnet. Im Gegensatz dazu wird more wealthy durch eine syntaktische, aus zwei separaten Wörtern bestehende Form gebildet, was als analytische Variante bezeichnet wird. Der Komparativ im Englischen kann somit als Alternation zwischen synthetischen und analytischen Formen bezeichnet werden. Ein anderes Beispiel für eine solche Alternation stellt der englische Possessiv dar. Hier können Sprechende zwischen der synthetischen Variante the dog‘s bone und der analytischen Variante the bone of the dog wählen. In der Literatur existieren verschiedene Ansätze, um zu erklären, wann sich Sprechende in solchen Fällen für die synthetische und wann für die analytische Variante entscheiden. Einen Ansatz, sowohl die Komparativalternation als auch die Possessivalternation sowie ähnliche Alternationsphänomene zu erklären, findet sich in der sogenannten analytic-support-Hypothese. Sie besagt, dass die analytische Variante leichter zu verarbeiten ist als de synthetische Variante und somit bevorzugt dann zum Einsatz kommt, wenn die Verarbeitung des linguistischen Materials eine besonders hohe Verarbeitungskomplexität aufweist. Diese Hypothese wurde bislang jedoch nur indirekt durch die Analyse von sprachlichen Äußerungen in linguistischen Korpora bestätigt. Im vorliegenden Projekt wurde die analytic-support-Hypothese unter Einsatz verschiedener empirischer Ansätze überprüft. Hierbei wurde vom psycholinguistischen Grundsatz ausgegangen, dass sich die Verarbeitungskomplexität von sprachlichen Einheiten durch die Ermittlung der Verarbeitungsdauer annähern lässt. So ist anzunehmen, dass Hörende im Mittel länger benötigen, um ein hoch komplexes Adjektiv zu verarbeiten als ein nur wenig komplexes Adjektiv. Wenn die analytic-support-Hypothese zutrifft, ist somit davon auszugehen, dass es besonders jene Adjektive sind, die eine hohe Verarbeitungsdauer aufweisen, welche mittels more gebildet werden, während Adjektive mit niedriger Verarbeitungsdauer eher zur Bildung mittels -er neigen sollten. Entsprechendes sollte sich auch für die Substantive in der Possessivalternation nachweisen lassen können. Im Rahmen des Projektes wurde zunächst einmal überprüft, ob analytische Komparative tatsächlich leichter zu verarbeiten sind als synthetische Komparative. Dies sollte sich in kürzeren Verarbeitungszeiten für analytische Stimuli niederschlagen: Hörenden sollte es leichter fallen, die Form more wealthy zu verarbeiten als die Form wealthier. Diese Erwartung konnte jedoch in einem audititven lexikalischen Entscheidungsexperiment nicht bestätigt werden. Im Gegenteil sind es die synthetischen Komparative, die in der Regel schneller (und somit leichter) zu verarbeiten sind. Somit ist davon auszugehen, dass die Verwendung von analytischen Komparativen nicht geeignet ist, um hohe Verarbeitungskomplexität auf der Hörerseite zu kompensieren. Anschließend wurde die Wirksamkeit der Verarbeitungskomplexität in der Sprachproduktion untersucht. Hier wurden Satzvervollständingungsexperimente durchgeführt, in der Sprechende entweder Komparative oder Possessive produzieren sollten. Der Verarbeitungsaufwand der jeweiligen Adjektive und Substantive wurde zuvor in einem lexikalischen Entscheidungsexperiment erhoben. Die analytic-support-Hypothese sagt vorher, dass mit zunehmendem Verarbeitungsaufwand des Zielworts die Rate der analytischen Variante zunehmen sollte. In den Experimenten zeigte sich dieser Zusammenhang allerdings nur für die Komparative, nicht jedoch für die Possessive. Somit lässt sich festhalten, dass die Verarbeitungskomplexität zwar als ein Faktor (unter verschiedenen anderen) in der Alternation zwischen z.B. wealthy und more wealthy zu betrachten ist, wie von der analyticsupport-Hypothese vorhergesagt, dass dieser Wirkungsmechanismus jedoch nicht gleichermaßen für die Possessivalternation zu gelten scheint. Diese experimentellen Befunde finden ihre Bestätigung durch zwei korpus-linguistische Untersuchungen, bei denen sowohl das Auftreten von Komparativen und Possessiven in großen linguistischen Datenbanken mit der Verarbeitungskomplexität der jeweiligen Adjektive und Substantive in Verbindung gesetzt wurde. Auch hier zeigt sich, dass die Verarbeitungskomplexität ein signifikanter Faktor der Komparativalternation, nicht aber der Possessivalternation ist. Zusammenfassend hat das Projekt die analytic-support-Hypothese zumindest für die Komparativalternation bestätigt. Da er jedoch für die Possessivalternation nicht nachgewiesen konnte, ist davon auszugehen, dass der in der Hypothese beschriebene Mechanismus nicht für alle strukturell ähnlichen Alternationsphänomene wirksam ist.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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No support for more-support: synthetic comparatives are processed faster. International Conference on the Linguistics of Contemporary English 5, Austin, TX. 29. September 2013
Gero Kunter
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Processing complexity of English comparative variants. Experimental results. ICAME 34 pre-conference workshop „Processing in corpora: 'Support strategies' in language variation and change“, Santiago de Compostela. 22. Mai 2013
Gero Kunter
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Complexity effects in the English comparative alternation: corpus-based evidence. ICAME 36, Trier. 31. Mai 2015
Gero Kunter
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Effects of processing complexity in perception and production. The case of English comparative alternation. NetWordS 2015, Pisa. 30. März 2015
Gero Kunter