Von Prävention zu Preparedness - Eine kulturanthropologische Studie über die Globalisierung der Grippe
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Wie bereiten sich europäische Großstädte, die als internationale Verkehrsknotenpunkten, Wirtschaftsstandort, Regierungssitz oder touristisches Reiseziel eine zentrale Bedeutung einnehmen, auf eine mögliche Grippe-Pandemie vor? Das Projekt ging dieser Frage am Beispiel der Influenza-Preparedness in Frankfurt/M. und London nach. Im Rahmen eines multilokalen ethnografischen Ansatzes fokussierte das Projekt die Tätigkeiten von Experten und Expertinnen aus dem Bereich Public Health, Notfallplanung, Virologie, Biomedizin, Epidemiologie, Krisenmanagement, Journalismus und Politik, sowie die institutionalisierten Arbeitszusammenhänge, in denen diese beschäftigt sind. Zugrunde lag dabei die These, dass das Management von Infektionskrankheiten den rein medizinischen Kontext verlässt und in politische Interventions- und Handlungsfelder einwandert. Im Ergebnis konnte dies für beide Forschungssettings bestätigt werden: Das Management pandemischer Influenza ist in Praktiken und Diskurse der (Bio-)Sicherheit eingebunden. Als Gegenstand der Planungsmaßnahmen stellten sich primär die kritischen Infrastrukturen und die Business Continuity der Städte dar, während die Bürgerinnen und Bürger als nur mittelbares Ziel der Planung konzeptionalisiert wurden. Preparedness fokussiert damit vor allem die Funktionsweise und ökonomische Handlungsfähigkeit einer Stadt. Um dies zu gewährleisten, muss unter anderem sichergestellt werden, dass das für die Betreibung der kritischen Infrastrukturen notwendige Personal arbeitsfähig bleibt. Der Zugriff auf Bürgerinnen und Bürger erfolgt unter diesen Voraussetzungen über weiche Formen der Regierung: Überzeugung, Aufklärung oder Appelle an das Verantwortungsbewusstsein. In London zeigte sich zudem, dass der hierin zutage tretende Widerspruch zwischen Infektionskontrolle und Business Continuity Gegenstand von Aushandlungsbemühungen seitens der Notfallplaner ist. So könnte etwa im Pandemiefall die Schließung zentraler U-Bahn-Stationen aus der Perspektive der Infektionskontrolle positive Effekte mit sich bringen, unter dem Gesichtspunkt der Business Continuity hätte sie jedoch katastrophale Folgen. An Beispielen wie diesen zeigte sich, dass Pandemieplanung nicht einfach aus einer linearen Ausführung international determinierter Richtlinien besteht. Strukturell wies die Planung in beiden Settings deutliche Unterschiede auf. Während in Frankfurt/M. die linear eskalierende Dynamik der von der WHO entworfenen Richtlinien zur Pandemieplanung übernommen wurde, hat sich Großbritannien nach den Erfahrungen der H1N1-Pandemie von diesem Modell verabschiedet. Beide Städte orientieren sich jedoch für die Inkraftsetzung ihrer lokalen Pläne nicht an den durch die WHO deklarierten Phasen, sondern der lokalen bzw. nationalen Verbreitung eines pandemischen Erregers. Hier zeichnete sich ein überraschender Widerspruch ab: Zwar sollten die Behörden (in unterschiedlichem Maße) das aktuelle Bedrohungspotenzial ermessen, jedoch liegt kein eindeutiger Indikator zugrunde, der eine verbindliche Aussage darüber zulässt, ab wann ein pandemisches Virus innerhalb des Stadt-Raums angekommen ist. Die Forschung zeigte, dass Pandemien innerhalb des jeweils definierten territorialen Zusammenhangs (in diesem Fall der Stadt-Raum) wirksam gemacht – enaktiert – werden müssen. Dies erfolgt über die Artikulation von Ausbruchsereignissen im Rahmen raum-zeitlicher (Pandemiephasen der WHO), soziotechnischer (Software, Labore, Meldesysteme) sowie administrativer (Entscheidungsfindung im kollektiven Kontext) Dimensionen. Zugleich zeigte sich auch, dass der Performanz eines kompetenten Umgangs mit Infektionslagen oder Großveranstaltungen von den beteiligten Akteuren ein positiver Effekt auf die Standortentwicklung zugeschrieben wird. Meike Wolf: Auf alles gefasst sein. In: forschung. Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft 38 (2013), S. 12-15
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Is there really such a thing as ‘one health’? Thinking about a more than human world from the perspective of cultural anthropology. In: Social Science & Medicine 129 (2015), 5-11
Meike Wolf
(Siehe online unter https://doi.org/10.1016/j.socscimed.2014.06.018) - Mikrobiopolitik in Kulturanthropologie und Europäischer Ethnologie: Ein Versuch der Annäherung an mikrobielle Beiträge zur Wissensproduktion. In: Salvador Cayuela (Hg.): Biopolítica y Ciencias Sociales. Sociología Histórica, Bd. 5 (2015), 281-30
Meike Wolf
- Globale Bedrohungen, lokale Antworten. Kulturanthropologische Überlegungen zur Influenza-Preparedness. In: Peter Zoche, Stefan Kaufmann & Harald Arnold (Hg.): Grenzenlose Sicherheit? Gesellschaftliche Dimensionen der Sicherheitsforschung. (Band 13 von Zivile Sicherheit) LIT Verlag Münster, 2016, ca. S. 321-337
Meike Wolf