Finanzverfassung als Gesamtsystem
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Finanzverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland lässt sich nicht länger auf das Finanzverfassungsrecht i. w. S., d. h. auf die Steuerfinanzverfassung und das Haushaltsverfassungsrecht im X. Abschnitt des Grundgesetzes reduzieren. Erforderlich ist künftig vielmehr eine grundgesetzliche Regelung der Gesamtfinanzverfassung mit allen finanzspezifischen Vorschriften der Verfassung. Der seit langem beobachtete Aufzug des Abgabenstaats in Konkurrenz zum Steuerstaat macht eine Systematisierung der in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft entwickelten Grundsätze und Grenzen auch der einzelnen nichtsteuerlichen Abgabenarten und ihre Integration in den Verfassungstext unerlässlich. Die materiellen Grenzen der Abgabenbelastung und insbesondere die zulässige Gesamtbelastung müssen in Form eines Finanzgrundrechts expliziten, abgabenspezifischen Eingang in das Grundgesetz finden. Dies gilt insbesondere für den finanziell und gesellschaftlich wichtigen Bereich der Sozialversichemngsabgaben. Die Erhebung, Verteilung und materielle Zulässigkeit der Sozialversichemngsabgaben kann unter rechtsstaatlichen Aspekten nicht wie bisher aufder Basis weniger, verstreuter und kaum aussagekräftiger Grundgesetzbestimmungen erfolgen. Entsprechend ihrer realen Bedeutung gehört die Sozialfinanzverfassung wie die Steuerverfassung (also die Finanzverfassung i.e.S.) in das Grundgesetz. Erst mit der grundgesetzlichen Fixierung dieses zweiten großen Abgabenblocks kann eine Koordinierung und Begrenzung der durch Steuem und Soziaiversicherungsabgaben verursachten Abgabengesamtbelastung erfolgen. Im Zusammenhang mit der so anstehenden Modernisierung und Erweiterung des X. Abschnitts des Grundgesetzes sollte auch die Ausgestaltung der Finanzverfassung durch unterverfassungsrechtliche Normen anhand einer systematisierenden Bestandsaufnahme kritisch analysiert werden. Wesendiche Teile der Finanzverfassung werden durch untergesetzliche Normen überhaupt erst „in Vollzug" gesetzt. Dies hat zu einem Bedürfnis nach der Bindung des Gesetzgebers an den Gesetzgeber in Form von sog. „Supergesetzen" geführt. Hier sind zum einen Inhalt und Reichweite des Vorrangs solcher Supergesetze vor anderen Gesetzen verfassungsrechtlich zu fundieren. Zum anderen ist kritisch zu überprüfen, welche Regelungsgehalte ggf. besser auf Verfassungsebene normiert werden sollten, weil sie wesentlich den Inhalt der auszugestaltenden grundgesetzlichen Bestimmungen beeinflussen. Schließlich spiegelt sich die momentane Fragmentierung der Gesamtfinanzverfassung auch im Staatshaushalt wider. Um die Kernfunktion des parlamentarischen Budgetrechts zu wahren und dem Parlament einen möglichst vollständigen Überblick über die Abgabenbelastung der Bürger zu gewährleisten, sind an die Einrichtung von Nebenhaushalten bzw. Parafiski erhöhte Rechenschaftspflichten zu stellen. Hierbei bietet sich eine vergleichende Übemahme einiger der Zulassungsvoraussetzungen für Sonderabgaben an, welche das BVerfG anlässlich einer vergleichbaren Gefährdung des parlamentarischen Budgetrechts entwickelt hat. Zusammenfassend hat sich - jedenfalls vorerst - die Ausgangsthese des Projektes von der Notwendigkeit einer Gesamtfinanzverfassung weitgehend bestätigt. Deshalb sollte eine entsprechende Verfassungsrevision des X. Abschnitts des Grundgesetzes vorbereitet und durchgeführt werden. Eine solche Verfassungsrevision sollte sicherstellen, dass künftig das Grundgesetz nicht nur - wie bisher - die Finanzverfassung i. w. S. (Steuerfinanzverfassung und Haushaltsverfassung), sondern auch die Gesamtfinanzverfassung enthält. Bezüglich der Kodifikation der Gesamtfinanzverfassung im Grundgesetz steht die rechtswissenschaftliche Forschung freilich in weiten Teilen noch am Anfang.