Handlungsstrategien einer "verunsicherten" Mitte der Gesellschaft. Ein Kohortenvergleich.
Final Report Abstract
Im vorliegenden Forschungsprojekt wurde erstens der Frage nachgegangen, inwiefern die Krisendiagnose einer zunehmend verunsicherten Mittelschicht zutrifft. Danach ist die Mittelschicht trotz ihrer ökonomischen und Bildungsressourcen weniger als noch Jahrzehnte zuvor geschützt vor prekären Lebensbedingungen; der Statuserhalt (auch eigener Kinder) erscheint weniger selbstverständlich angesichts Entwicklungen wie der Deregulierung der Erwerbsarbeit und dem Umbau des Wohlfahrtsstaats. Zweitens haben wir die Frage gestellt, was Mittelschichtangehörige typischerweise tun, um Unsicherheit zu begegnen oder ihr vorzubeugen. Das Projekt hatte dabei einen quantitativen und qualitativen methodischen Zugang, zum einen durch eine Sekundäranalyse des Sozioökonomischen Panels, zum anderen durch offene Interviews mit zwei Berufsgruppen (Journalist/innen und Menschen in gehobenen administrativen Positionen privater Unternehmen). Wir haben dabei eine vergleichsweise enge Mittelschicht qualifizierter Erwerbstätiger fokussiert, weil gerade für diese gesellschaftliche Gruppe Unsicherheit ein neues Phänomen darstellen mag. Im Ergebnis hat sich gezeigt: Die qualifizierte Mittelschicht ist sicherer als erwartet. So haben laut der quantitativen Teilstudie große Sorgen um die wirtschaftliche Situation zwischen 2000 und 2011 zwar zugenommen, jedoch weder linear oder in einem enormen Ausmaß, noch im Schichtvergleich in überproportionaler Weise. Mittlere Schichten sorgen sich im Schichtvergleich in mittlerem Ausmaß bei schichtübergreifend ähnlichen Verläufen. Auch die Finanz- bzw. Eurokrise hat daran nichts geändert. Große Sorgen um den Arbeitsplatzverlust sind seit 2005 in der Mittelschicht rückläufig. Innerhalb der Mittelschicht sind es spezifische Bedingungskonstellationen, die Unsicherheit fördern (z.B. in Ostdeutschland, mit Kindern, ohne Partner/in leben, befristete Arbeitsverträge, Erfahrungen von Arbeitslosigkeit, dagegen nicht das Geschlecht, das Alter oder eine Teilzeitstelle). Die Analyse von Handlungsweisen zeigte – mit methodischen Einschränkungen – wenig übergreifende Muster. Von einer homogen verunsicherten Mittelschicht ist jedenfalls nicht auszugehen. Dies bekräftigt die qualitative Teilstudie. Neben einem Typus, der sich unsicher fühlt und Unsicherheit entsprechend (selbst/mit Hilfe des Partners) bekämpft, gibt es andere Typen, die sich beruflich nicht unsicher fühlen (die Unsicherheit potentiell als Bedrohung empfinden oder auch nicht) oder die berufliche Unsicherheit zumindest phasenweise gut aushalten können. Entsprechend zeigen sich unterschiedliche Handlungsmuster, die z.B. auf berufliche Profilbildung (‚Unsicherheit aushalten‘), Karriere (‚Sicherheit fortgesetzt herstellen‘) oder darauf ausgerichtet sind, trotz Unzufriedenheit prioritär ‚Unsicherheit zu vermeiden‘. Dabei ist nicht von einem Habituswandel hin zu einer verbreiteten Normalität unwägbarer Bastelbiographien auszugehen; bei aller Heterogenität der Fälle sind z.B. oft nach wie vor Sicherheitserwartungen vorhanden. Selbst wenn dies nicht immer mit Gestaltungsoptimismus oder Zukunftsplanung verbunden ist, haben die qualifizierten Erwerbstätigen durchaus oft den Eindruck, dass sie über Ressourcen und Optionen verfügen, ihren Status in der Mitte der Gesellschaft zu erhalten. Ob diese Haltungen und Handlungsmuster durch das Berufsleben tragen, ist eine andere Frage. Von daher bedeuten die Ergebnisse keine vollständige Zurückweisung jeglicher Krisendiagnosen für qualifizierte Erwerbstätige oder die Mittelschicht schlechthin.
Publications
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(2012): Vielfältige Verunsicherung in der Mittelschicht – Eine Herausforderung für sozialen Zusammenhalt? In: Pries, Ludger (Hg.): Zusammenhalt durch Vielfalt? Bindungskräfte der Vergesellschaftung im 21. Jahrhundert. Wiesbaden: VS, 101-119
Burzan, Nicole; Kohrs, Silke
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(2014): Unsichere Zukunftsperspektiven in der Mittelschicht? – Methodische Überlegungen und ausgewählte Befunde. In: Behnke, Cornelia/Diana Lengersdorf/Sylka Scholz (Hg.): Wissen – Methode – Geschlecht: Erfassen des fraglos Gegebenen, Wiesbaden: Springer VS, 175-188
Burzan, Nicole
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Die Mitte der Gesellschaft: Sicherer als erwartet? Weinheim: Beltz Juventa 2014
Burzan, Nicole; Kohrs, Silke; Küsters, Ivonne