Fremdbilder im Konflikt - Zur symbolischen Konstruktion der Konflikte um islamische Raumsymbole
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Der Islam verkörpert in den europäischen Migrationsgesellschaften heute das fundamental Fremde - als Kristallisationsobjekt von Abwehraffekten und Gegenstand erbitterter Kämpfe um politisch-normative Ordnungsregeln. In Moscheebaukonflikten werden diese Streitfragen in den Nahräumen lokaler Gemeinschaften ausgefochten. Das Forschungsprojekt untersuchte die symbolischen Konstruktionen des Fremdbilds 'Islam' in solchen Konfliktkontexten: Wie wird religiöse Fremdheit erfahren? Worin unterscheiden sich die Fremdbilder der Konfliktparteien? Wie kommt es zur Eskalation oder Befriedung des Streits? unter welchen Bedingungen werden Fremde zu Feinden oder respektierten Nachbarn? Die Studie untersuchte diese Fragen anhand von insgesamt 11 Feldstudien, davon zwei soziologische "Tiefenbohrungen". Methodisch kamen qualitative Interviews, Dokumentenanalysen, teilnehmende Beobachtungen zum Einsatz. Die Analyse erfolgte in drei Schritten: "Die Prozessanalyse" analysierte die Aushandlungsinteraktionen der Konfliktakteure. Die "Diskursanalyse" erfasste die Klassifizierungs-,Deutungs- und Rechtfertigungsoperationen der Konfliktkommunikation. Die "hermeneutische Rekonstruktion" schließlich rekonstruierte die Deutungsmuster religiöser Fremdheit im Kontext differenter Weltsichten. In zwei exemplarischen Studien wurden Fallgeschichten mit kontrastierenden Verlaufskurven – ein eskalierender und ein Einigungskonflikt - analysiert: Unter welchen Bedingungen spitzen sich Konflikte eskalierend zu? Und wie gelingen Einigungslösungen? Es wurde deutlich, dass die Eskalationsspirale des ersten Falls aus der Dominanz der Bezichtigungsinteraktion zu begreifen ist, während es im zweiten Fall gelang, die Eskalationsspirale durch ein Moderationskonzept zu bremsen, in dem die Aushandlungskommunikation von Vertragspartnern sich durchsetzen konnte. Als Ergebnisse der hermeneutischen Rekonstruktion wurde eine "Typologie von Weltsichten" mit differente Wahrnehmungs- und Erfahrungsmuster religiöse Fremdheit rekonstruiert: 1) Heterophobie im Kontext eines kommunitären Lokalismus, (2) die Islamfeindschaft des Ethnonationalismus, (3) die Islamgegnerschaft eines agonaler Republikanismus, (4) ein Konzept der Vertragspartnerschaft in der Perspektive kontraktueller Gegenseitigkeit und xenophile Indifferenz im Rahmen einer individualistisch-libertären und einer ethisch-humanitären Weltsicht. In der Verbindung aller Untersuchungsschritte wurde eine formtheoretische Konflikttheorie erarbeitet, die den Falltypus auf seinen sozialen Sinn, die Prozessmerkmale und seine Funktion hin analysiert. Das Ergebnis lässt sich thesenhaft so zusammenfassen: Moscheebaukonflikte sind als normative Ordnungskonflikte zu verstehen, in denen sich drei Problematiken überlagern: die globalisierende Entgrenzung von Migrationsbewegungen, welche die Differenz von Lokalismus und Kosmopolitismus konflikthaft auflädt; eine Selbstverständniskrise der muslimischen Gemeinschaft, in der sich neue Differenzierungslinien und Fraktionierungen abzeichnen; und schließlich eine Transformation des nationalstaatlichen Identitätsmodells, die neue ideologische Frontlinien erzeugt.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Das Schweigen der Bürger und die Sprache der Bilder. Zur medialen Konstruktion eines Moscheebaukonflikts, in: Kohlstruck, M./Schüler-Springorum, S./Wyrwa, U. (Hg.): Kollektive Gewalt in Geschichte und Gegenwart, Berlin 2015
Armin Steil/Kerstin Palloks
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Religiöse Fremdheit im lokalen Konflikt. Moscheebaukonflikte
zwischen moral panic und Islamfeindschaft. 2020, 358Seiten, Beltz/ Juventa, Weinheim/ Basel, ISBN 978-3-7799-6210-6.
Armin Steil, Kerstin Palloks