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Politische Steuerung sozialer Integration und ländliche Sozialwissenschaft 1935-1960: Agrarökonomische und agrarsoziologische Forschung im Kontext der nationalsozialistischen Raumplanung und der politikberatenden Sozialforschung der frühen Bundesrepublik Deutschland

Fachliche Zuordnung Neuere und Neueste Geschichte (einschl. Europäische Geschichte der Neuzeit und Außereuropäische Geschichte)
Förderung Förderung von 2011 bis 2015
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 192381044
 
Zahlreiche bedeutende Agrarökonomen und Agrarsoziologen der frühen Bundesrepublik Deutschland haben auf die Raumforschung im NS-Staat Einfluss genommen. Einige davon in regime-oppositioneller Absicht. Viele agrarsoziale Experten arbeiteten bis 1945 im Kontext der NS-Raumplanung. Die der Raumplanung vorgelagerte NS-Raumforschung wurde wesentlich als empirische und politikberatende Sozialwissenschaft interpretiert. Nur in ihrem Rahmen und nur im nahe verwandten agrarwissenschaftlichen „Forschungsdienst" der Reichsarbeitsgemeinschaften der Landwirtschaftswissenschaft wurden .die als politisch bedeutsam eingeschätzten und planungsrelevanten Sachverhalte des Agrarbereichs sozialwissenschaftlich untersucht. Diese betrafen die Autarkiepolitik, die Stadt-Land-Wanderung („Landflucht"), die Untersuchung von „Notstandsgebieten" und potentiellen Siedlern, die regionalen Arbeitskräftereservoirs und die Arbeitsproduktivität des „Landvolks", die Rationalisierung und Mechanisierung der ländlichen Lebens- und Arbeitswelt, die soziale Lage der Landarbeiter, die Entwicklung der bäuerlichen Familie, die soziale Zusammensetzung von Dorfgemeinschaften u.ä.m. Raumforschung dieser Art sollte der politischen Steuerung und damit der (vermuteten) sozialen Effizienz politischer Maßnahmen dienen. Die Thematik soziale Integration stellte implizit offensichtlich in vielen Untersuchungen ein Brückenkonzept zwischen Diktatur und Demokratie dar. Das Thema Integration, sozialer Aufstieg und Leistungssteigerung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte, das z.T. schon vor 1945 die Politikberatung prägte, blieb in der jungen Bundesrepublik virulent - nun allerdings nicht mehr unter den Imperativen volksgemeinschaftlicher und rassischer (Neu)-Ordnung, hoher sozialer Kontrolle und einer intensiven Siedlungspolitik, sondern als sozialpolitische, soziologische und agrarökonomische Flankierung der neuen marktwirtschaftlichen Ordnung. Eine boden- und eigentumspolitische Neuordnung agrarischer Besitzverhältnisse wurde - anders als in Planungen während der Weimarer Republik, während der NS-Zeit und als Zwangskollektivierung von Bauern in der späteren DDR - hingegen in Westdeutschland / der Bundesrepublik verworfen. Im Untersuchungsvorhaben sollen die vorgetragenen, durch den derzeitigen Forschungsstand gedeckten Hypothesen, mittels mehrerer Teilfragestellungen überprüft und durch neu gewonnene Erkenntnisse ggf. weiter ausdifferenziert oder revidiert werden. Wie ist in der wissenschaftlichen Politikberatung der Agrarökonomen- und Agrarsoziologen das Ziel soziale Integration nach 1945 aufgefasst und verarbeitet worden und hatten NS-spezifische ‚(Neu)-Ordnungs'-Konzepte darauf noch einen größeren Einfluss? Gab es eine weitergehende disziplinübergreifende Zusammenarbeit bzgl. der Politikberatung zwischen einzelnen Personen oder wissenschaftlichen Einrichtungen agrarökonomischer und agrarsoziologischer Ausrichtung (Denkkollektive), die bisher über rein fachgeschichtlich angelegte wissenschaftshistorische Studien nicht erkannt worden ist? Welche Binnendifferenzierungen und Binnenlogiken gab es andererseits auf diesem Feld? Gab es einen oder mehrere variierende gemeinsame Denkstile von Agrarökonomen und Agrarsoziologen auf dem Gebiet politischer Steuerung sozialer Integration? Die Untersuchung basiert methodisch auf der Wissenschaftstheorie von Ludwik Fleck und neueren wissenschaftssoziologischen Ansätzen zur rekursiven Kopplung von Wissenschaft und Politik. Sie ist gleichzeitig als theoriebildende soziologie- und agrarhistorische Untersuchung angelegt, die neue Einsichten in die Struktur und Wirkung politiknaher Forschung auf einem exemplarischen Feld - der räumlichen Planung - ermöglichen wird. Eine Fokussierung der Untersuchung soll für die Entwicklung nach 1945 auf das Rheinland und Westfalen bzw. NRW erfolgen. Die Untersuchung kann die Diskussion über die Konzeptualisierung der sozialen Marktwirtschaft bereichern.
DFG-Verfahren Sachbeihilfen
 
 

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