Sprachdenken und politische Theorie. Jüdisch-deutsche Beiträge vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Länderbezug: Deutschland/Israel
Final Report Abstract
Gewidmet war das Netzwerk vor allem einer Erkundung des Zusammenhangs von Sprachdenken und politischer Theorie in Texten jüdisch-deutscher Gelehrter seit der Haskala bis heute. In systematischer Absicht ging es um die Frage, welche Rolle diverse Sprachreflexionen in politischen Konzepten als auch Kultur- und Sozialtheorien spielten. In geschichtlicher Perspektive interessierte uns besonders die Erkundung des vermuteten der Zusammenhangs von Sprachdenken und soziokulturellen Hintergrund der untersuchten Gelehrten, da anzunehmen ist, dass das Sprachdenken jüdisch-deutscher Gelehrter auch als Strategie der Bewältigung der erlebten prekären Lebenssituation aufgefasst werden kann, als Medium der Selbstverständigung, Identitätsfindung oder Akkulturation, als Form eines ästhetischen Widerstands oder als innere Gegenwelt, die der Erfahrung der Verfolgung und des Exils entgegengesetzt wurde. Die Teilnehmer/innen und engagierten sich in ihren Forschungsprojekten mit unterschiedlichen Fragestellungen, intellektuellen Konstellationen und Diskursen, in denen der historische und politische Hintergrund jüdisch-deutscher Sprach, Kultur- und Sozialtheorien ausgelotet wurde, indem der enge, aber oft nicht offenkundige Zusammenhang zwischen Sprache, Sprechen, politischen Konstellationen sowie praktischen Konsequenzen erkundet wurde. Das dabei sichtbar werdende Zusammenspiel von Sprache und Politik lässt sich in drei Thesen verdichten: 1) Sprache und Politik sind Formen der kulturellen Expressivität des Menschen, in denen sich das individuelle Selbst(bewusstsein) der Akteure ebenso wie kollektive Identitäten und soziale Ordnung miteinander verschränken. Jeder Sprechakt ist eine soziale Handlung. 2) Sprache ist in Aktualität und Potentialität bezogen auf die sozialen und kulturellen Realitäten von Gesellschaften. Sie zieht Grenzen und überbrückt Differenzen, und die verbindet Ideen mit politischen Gegebenheiten und Gemeinwesen. 3) Sprache erweist sich auch als ästhetisches Medium und als Medium von Kulturkritik. Es kommt ihr keinesfalls nur die Funktion zu, den status quo einer Gesellschaft – die Strukturen der sozialen Ordnung – zu erhalten, sondern in der Sprache können Potentialitäten – Veränderung, Revolution, der Stand der gesellschaftlichen Einbildungskraft – vorbereitet und antizipiert werden. Der Befund von Daniel J. Elazar, demzufolge das Politische als die "Cinderella of Jewish Studies" und als "uncharted area" zu verstehen sei, konnte durch unsere Forschungsprojekte bestätigt werden. Das Politische ist in diesen Sprach-, Kultur- und Sozialtheorien oder literarischen Beiträgen mitnichten offensichtlich; vielmehr blitzt es zwischen den Zeilen oder in abstrakten Reflexionen auf. In vielerlei Hinsicht manifestiert es sich diesen Theorien zufolge in den gesellschaftlichen und sozialen Diskursen. Die Artikel geben keine exklusiven Antworten auf die Frage nach der Rolle des Politischen in diesen Beiträgen, sondern zeigen die Vielschichtigkeit und Komplexität dieses Phänomens. In einem weit gefassten Sinn ging es überall um die ethische Frage des möglichen Miteinanders verschiedener Konfessionen, Sprachen und Kulturen – und dies hat noch immer Bedeutung für multikulturelle und mehrsprachige Gesellschaften heute.
Publications
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Between acculturation and self-assertion: Individualisation in the German-Jewish context oft he German Empire and the Weimar Republic and ist contribution to the development of modern sociology. Religion 45:3, 429–450
Sabine Sander
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Habilitationsschrift: Dialogische Verantwortung. Konzepte der Vermittlung von Mensch und Welt, ›Ich‹ und ›Du‹ sowie ›Eigenem‹ und ›Fremdem‹ in Kultur- und Sozialtheorien im jüdisch-deutschen Kontext. Universität Koblenz-Landau
Sabine Sander
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Language as Bridge and Border. Linguistic, Cultural and Political Constellations in 18th to 20th Century German-Jewish Thought. Berlin: Hentrich & Hentrich 2015
Sabine Sander (Hg.)