Reuleaux und Riedler. Wissenschaft und Gesellschaft im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert
Final Report Abstract
Das Ziel des Projekts war eine Doppelbiographie von Franz Reuleaux (1829-1905) und Alois Riedler (1850-1936). Diese Doppelbiographie wird jedoch nicht als Selbstzweck angesehen; vielmehr werden am Beispiel von Reuleaux und Riedler Strukturbedingungen und Handlungsmöglichkeiten in Wissenschaft, Technik und Gesellschaft des Kaiserreichs und der frühen Weimarer Republik aufgezeigt. Die Doppelbiographie stützt sich auf eine Auswertung des gedruckten Werks sowie der umfangreichen bislang weitgehend ignorierten Akten bestände. In dem Projekt sind die Publikationen Riedlers überhaupt erstmals systematisch erschlossen worden. In den Archiven wurden einzelne bislang unbekannte Bestände aufgefunden und weitere bislang von der Forschung ignorierte relevante Bestände eingesehen. Sowohl für Reuleaux wie für Riedler wird erstmals - und zwar in integrierter Weise - eine zusammenfassende Biographie gegeben. Dabei wird das Wissen über Reuleaux in vielerlei Hinsicht enweitert, die zu Riedler in dem Projekt erarbeiteten Erkenntnisse sind zum überwiegenden Teil neu. Mit plakativen Begriffen wie „Gelehrter", „Universalist" und „Staatsbeamter" für Reuleaux sowie „Manager", „Berufsmensch" und „Wissenschaftsunternehmer" für Riedler werden die beiden Technikprofessoren als polare Typen beschrieben, die auf die Herausforderungen ihrer Zeit sehr unterschiedlich reagierten. Reuleaux engagierte sich als nationalliberaler staatstreuer Beamter im Rahmen der Bismarckschen Politik. Der Österreicher Riedler hielt sich von parteipolitischen Engagements fern, überzog aber sowohl das Kaiserreich wie die frühe Weimarer Republik mit gesellschaftspolitischer Kritik, welche in antikapitalistischen und technokratischen, aber auch ökologischen Vorstellungen wurzelte. Im Gegensatz zu Riedler engagierte sich Reuleaux wenig in der berufsständischen Emanzipationsbewegung der Ingenieure. Riedler leistete wichtige Beiträge zur gesellschaftlichen Positionierung des Ingenieurberufs, scheitere aber mit seinem Anliegen, die Bezeichnung „Ingenieur" gesetzlich schützen zu lassen und aufdie Gruppe der Hochschulingenieure einzugrenzen. In der noch sehr im Fluss befindlichen Konstituierungsphase der Technikwissenschaften agierte Reuleaux als Szientist, Riedler als Relativist, der die Spezifik und Lokalität technikwissenschaftlicher Aussagen herausarbeitete. Beide scheiterten mit dem Versuch, einen Aspekt der Technikwissenschaften als zentralen zu etablieren; bei Reuleaux war dies die Kinematik, bei Riedler die Konstruktionslehre. Reuleaux steht für den traditionellen Typ des beamteten, staatstreuen, aber politisch engagierten Professors, Riedler für den neuen des Wissenschaftsmanagers. So unterschiedlich diese beiden Typen auch waren, so gerieten doch beide in heftige Konflikte mit ihrer Umwelt: Reuleaux bei seinen gewerbe- und industriepolitischen Aktivitäten mit der Industrie, aber auch der traditionellen Staatsverwaltung; Riedler bei seinen technischen Innovationen und seinen bildungspolitischen Vorstellungenmit der Industrie. Darüber hinaus waren sowohl Reuleaux wie Riedler meinungsfreudige und angriffslustige Charaktere, deren zahlreiche Auseinandersetzungen vertiefte Einblicke in die Streitkultur des Kaiserreichs und der frühen Weimarer Republik auf dem Gebiet der Technik eröffnen.