Zwischen Öffnung und Schließung: Reformbemühungen ausgewählter evangelischer Landeskirchen, katholischer Diözesen und protestantischer Freikirchen/ evangelikaler Gemeindebünde im Vergleich
Zusammenfassung der Projektergebnisse
In den Ergebnissen unserer Untersuchung zeigen sich überraschende Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den verschiedenen Kirchen in ihrem Bemühen, für die moderne Gesellschaft attraktiv zu sein und ihre Organisationsprobleme sowohl finanziell als auch auf programmatischer Ebene über die avisierten Reformen zu lösen. Dabei ist ein Changieren zwischen theologischer Programmatik und organisatorischer Pragmatik zu beobachten – beide Perspektiven lassen sich offenbar nur schwer aufeinander beziehen. Die Strukturreformen erscheinen von theologischen Überlegungen weitgehend abgekoppelt. Ebenso fällt ein Changieren zwischen Aktivismus und Ohnmachtsgefühlen auf. Der Bedeutungsverlust von Kirche wird oft zunächst mit großer Geste relativiert, um im weiteren Verlauf der durchgeführten Interviews dann doch als reale Bedrohung behandelt zu werden. Hinter der behaupteten Gelassenheit verbergen sich bei näherem Hinsehen insofern nicht selten Zweifel, Angst und Unsicherheit im Blick auf die Zukunft der Kirche. Die Kirchen und Bünde stehen unter enormem Druck. Sie bemühen sich einerseits um eine realistische Analyse und sind veränderungswillig, andererseits fühlen sie sich überfordert angesichts einer hoch komplexen sozialen Umwelt und gesellschaftlichen Gesamtentwicklung. Viele Akteure ahnen, dass sie die Veränderungen, die sie anstreben, letztlich nicht über Reformentscheidungen erreichen können. Insbesondere im Hinblick auf die evangelische Kirche überrascht es, dass sie bei ihren Reformen kaum auf die von der EKD selbst initiierten und durchgeführten Mitgliedschaftsbefragungen und damit auf die Mitgliedschaftslogik, auf die sie ansonsten großen Wert legt, rekurriert. Ihre Reformbemühungen sind stark von der Organisationslogik bestimmt und lassen andere Perspektiven – im Hinblick auf die Bedeutung von Pfarrerinnen und Pfarrern in der Öffentlichkeit und für die Interaktion mit den Mitgliedern z.B. – weitgehend außer Acht. Die Reformanstrengungen sorgen in allen Kirchen für reformbezogene Reflexionsschleifen, die zu einer starken Beschäftigung der Kirchen mit sich selbst führen. Da jede Reform tendenziell neue Reformen auslöst, ist ein Ende dieser Selbstfokussierung nicht abzusehen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Kirchenbindung unter den Bedingungen gestiegener Kontingenz, in: Gerhard Wegner (Hg.), Gott oder die Gesellschaft? Das Spannungsfeld von Theologie und Soziologie, Würzburg 2012: Ergon, S. 139-154
Gabriel, Karl
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Die Religion der Stunde? Anmerkungen zur Soziologie des gegenwärtigen Katholizismus, in: Theologisch-praktische Quartalschrift, 161, 2013, 12-19
Gabriel, Karl
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Kirchliche Reformbemühungen in soziologischer Perspektive, in: Evangelische Theologie, 73, 2013, 152-159
Kaufmann, Franz Xaver/Pollack, Detlef
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Alte Probleme und neue Herausforderungen, in: Patrick Becker / Ursula Diewald (Hg.), Die Zukunft von Religion und Kirche in Deutschland. Perspektiven und Prognosen, Freiburg i. Br. 2014, 13-28
Gabriel, Karl
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Liquid Church? Organisationssoziologische Anmerkungen, in: Pastoraltheologische Informationen 2, 2014, 44-56
Gabriel, Karl
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Semper reformanda. Die Kirche und ihre Reformdiskurse, in: Birgit Weyel/Peter Bubmann (Hrsg.): Kirchentheorie. Praktisch-theologische Perspektiven auf Kirche, Leipzig 2014, 40-51
Brauer-Noss, Stefanie/Karle, Isolde
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Wie steht es um die christlichen Kirchen in Deutschland? Eine Einschätzung aus soziologischer Sicht, in: Loccumer Protokoll 33/2014, 21-39
Pollack, Detlef
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Kirchen zwischen Institution und Bewegung, in: Forschungsjournal Soziale Bewegung, 28, 2015, 18-28
Gabriel, Karl
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Reformprozesse in der evangelischen Kirche der Gegenwart: Realität und Visionen, in: Wilhelm Damberg/Ute Gause/Isolde Karle/Thomas Söding (Hrsg.): Gottes Wort in der Geschichte. Reformation und Reform der Kirche, Freiburg im Breisgau 2015, 317-330
Karle, Isolde