Die Ontologie verschränkter quantenmechanischer Zustände
Final Report Abstract
Einstein, Podolsky und Rosen (1935) haben mit ihrem Gedankenexperiment auf eine Besonderheit der Quantenwelt aufmerksam gemacht nämlich sogenannte verschränkte Quantenzustände. Diese Zustände führen zu starken Korrelationen zwischen Messungen an weit voneinander entfernten Systemen. Seit Bells Theorem (1964) ist klar, dass diese Korrelationen mit klassischen Vorstellungen der Wirkungsausbreitung nicht verstanden werden können: in einem gewissen Sinne muss es einen Einfluss zwischen den entfernten Messungen geben, der nur dann rechtzeitig den anderen Flügel des Messaufbaus erreicht, wenn er sich schneller als Licht fortpflanzt. Solche Einflüsse werden in einem traditionellen Verständnis aber durch die Relativitätstheorie verboten; deshalb wird seit Bells Beweis nach Lösungen gesucht, um die beiden widerstrebenden Forderungen - Quanten-Nichtlokalitat und Relativitätstheorie - in Einklang zu bringen. Dies ist das wohlbekannte raumzeitliche Problem der Verschränkung. Ein zentrales Problem der Debatte besteht darin, dass die Untersuchung auf einer kausalen Überlegung aufbaut - dass nämlich lokale Einflüsse nicht ausreichen, um die starken Korrelationen zu erklären -, ohne dass bislang eine Theorie der Kausalität zugrundegelegt wurde, die aus heutiger Sicht das Verhältnis zwischen kausalen und statistischen Tatsachen auf zufriedenstellende Weise behandelt Dieses Projekt wendet zum ersten Mal die Theorie kausaler Bayes Netze auf Experimente mit verschränkten Objekten an. Die Theorie fasst in klarer Weise die Prinzipien zusammen, die das Verhältnis zwischen statistischen und kausalen Tatsachen verlässlich beschreiben. Sie ermöglicht eine klare Trennung der statistischen, kausalen und raumzeitlichen Ebene der Analyse und liefert klare Brückenprinzipien für die Beziehung zwischen den ersten beiden Ebenen. Die Untersuchung auf Grundlage dieser Theorie liefert folgende Hauptresultate: (1) Neben dem raumzeitlichen Problem gibt es auch ein kausales Problem der Verschränkung, das in dem Dilemma besteht, einerseits erklären zu müssen, wie die starken Korrelationen zustande kommen (was für eine starke Verbindung zwischen den entfernten Flügeln spricht), andererseits aber auch erklären zu müssen, warum man zwischen den Messungen keine Signale mit Überlichtgeschwindigkeit senden kann (was gegen eine zu starke Verbindung spricht). (2) Das kausale Problem kann auf überzeugende Weise gelöst werden, wenn man annimmt, dass es eine kausale Verbindung zwischen den Flügeln gibt, die aber auf spezielle Weise balanciert (finetuned) ist so dass man mit ihr keine Signale senden kann. (3) Entgegen der üblichen Standardsicht kann man durch eine Verstärkung des Bell'schen Theorems mathematisch zeigen, dass die Korrelationen nicht durch eine direkte Verursachung zwischen den Messergebnissen zustande kommen können, sondern durch eine (nicht-lokal wirkende) gemeinsame Ursache entstehen müssen. Im Falle der Quantenmechanik handelt es sich hierbei um den nicht-lokal ausgedehnten verschränkten Zustand vor dem Kollaps. (4) Solche nicht-lokal ausgedehnten Zustände scheinen auch die beste Lösung für das raumzeitliche Problem zu sein. Sie stehen nicht unbedingt im Widerspruch mit der relativistischen Symmetrieforderung nach Lorentz-Invarianz, weil letztere nur für Gesetze, nicht aber für den kontingenten Inhalt der Raumzeit gefordert wird. In diesem Sinne zeigt das Projekt im Rahmen der Theorie kausaler Graphen, dass eine kausale Erklärung der besonderen Korrelationen möglich ist die, entgegen einer weit verbreiteten Auffassung, unter Annahme nichtlokaler Zustände der Relativitätstheorie nicht widersprechen muss.
Publications
- A stronger Bell argument for quantum non-locality
P. Näger
- Causal graphs for EPR experiments
P. Näger