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Kontext-, Organisations- und personale Bedingungen von Unternehmenskriminalität, insbesondere im Bereich des Gesundheitssystems

Fachliche Zuordnung Kriminologie
Förderung Förderung von 2010 bis 2013
Projektkennung Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Projektnummer 166423360
 
Erstellungsjahr 2013

Zusammenfassung der Projektergebnisse

Krankenhäuser stehen wegen ihrer existenziellen Funktion im öffentlichen Fokus. Wird ihnen Fehlverhalten – auch im wirtschaftlichen Feld – vorgeworfen, ist das deshalb ein sensibles Problem. Dass sich im medialen, aber auch politischen Diskurs die Berichte und Diskussionen um ökonomisch motivierte Behandlungen und irreguläre Abrechnungspraktiken mehren, ist also an sich schon Anlass genug, diesen Fragen in kriminologisch-empirischer Weise nachzugehen. Dies gilt umso mehr, als Unternehmensdelikte und insbesondere Abrechnungsdevianz von Krankenhäusern bislang überhaupt noch nicht untersucht worden sind. Angesichts dieses Forschungsstandes sind alle Ergebnisse des Projektes notgedrungen neu, aber auch noch von sehr tastender Art. Der Studie ging es darum, den Gegenstand erst einmal der kriminologischen Forschung zu erschließen, seine Untersuchungswürdigkeit zu überprüfen und Ansatzpunkte für künftige Arbeiten aufzuzeigen. Hierfür wurden offene Interviews mit Ärzten, Krankenhauskodierern, Abrechnungsprüfern und Gutachtern der Kassen geführt sowie ergänzend staatsanwaltliche Ermittlungsakten und Abrechnungsstatistiken der Kostenträger ausgewertet. Abrechnungsmanipulationen erwiesen sich hierbei als relevantes, wenngleich derzeit nicht zu quantifizierendes Phänomen. Diese Einschätzung beruht auf einer Reihe von Indikatoren, bspw. dem nachweisbaren Auftreten von Falschabrechnungen, die nur intentional entstanden sein können. Solches Verhalten wird durch die Beteiligten auch ganz allgemein reflektiert, in der Regel allerdings neutralisiert und als „wirtschaftlich letztlich nachvollziehbares Vorgehen“ interpretiert. Auch macht es nur einen kleinen Teil der vorkommenden Abrechnungsfehler aus, deren Gesamtvolumen derzeit freilich ebenfalls noch nicht abgeschätzt werden kann. Abrechnungsverstöße der Kliniken müssen in einem Zusammenhang mit ihrem Handlungsrahmen gesehen werden, genauer: mit der Art und Weise, wie das unmittelbar handelnde Personal diese Bedingungen interpretiert. So sehen Ärzte und Kodierer mit Blick auf wirtschaftliche Zwänge ihres Hauses die Notwendigkeit, Leistungsmengen, Behandlungsstrukturen und Erlöspotenziale ihres Hauses „auszureizen“. Das Vergütungssystem erscheint ihnen in Teilen als ungerecht. Die Abrechnungsprüfung wird als lebensfremd und formalistisch, andererseits aber auch als sanktionslos wahrgenommen. Zugleich sieht man sich mit Patientenbedürfnissen konfrontiert, die unabhängig von ihrer Berechtigung faktisch verbindlich sein können (bspw. wegen der Kundenmacht oder umgekehrt der Bedürftigkeit des Patienten). Durch solche Sinngebungen steigt die Bereitschaft zu erlösmaximierendem Behandlungs- und Abrechnungsverhalten. Insofern korrespondieren die Beobachtungen der Studie mit kriminologischen Konzepten, denen zufolge „Corporate Crimes“ typischerweise durch ökonomische Drucksituationen (starke Profitorientierung, wirtschaftliche Schieflage) entstehen. Die Abrechnungsprüfung der Kassen zielt de facto nicht darauf ab, Abrechnungsverstöße der Kliniken zu regulieren (einzudämmen), sondern darauf, eine systematische Fallpreisrabattierung durchzusetzen. Zum Ausdruck kommt dies in den Prüfschwerpunkten und Selektionsentscheidungen, die an der Optimierung des Rückerlösaufkommens (und nicht an Steuerungsaspekten) ausgerichtet sind. Gemäß dieser strikt ökonomisch orientierten Kontrollwirklichkeit werden selbst schwerwiegendste Abrechnungsverstößen ohne Einschaltung der Strafverfolgungsinstitutionen lediglich über Rechnungskorrekturen abgewickelt. Die Beobachtungen der Studie bedürfen der weiteren Untersuchung. Es zeichnen sich allerdings bereits jetzt Folgerungen insbesondere für das Compliance-Management der Kliniken und eine zielgerichtete Umstellung der Prüfverfahren ab.

Projektbezogene Publikationen (Auswahl)

  • Strafbare Abrechnungsmanipulation im Krankenhaus, in: M. Lindemann/R. Ratzel (Hrsg.): Brennpunkte des Wirtschaftsstrafrechts im Gesundheitswesen, Baden-Baden 2010, S. 37 – 54
    Kölbel, Ralf
  • Abrechnungsmanipulationen im deutschen DRG-System, in: GesundheitsRecht 2011, S. 129 – 136
    Kölbel, Ralf/Waibel u.a.
  • Kodierfehler oder Abrechnungsmanipulation?, in: führen & wirtschaften 2011, S. 172 – 177
    Kölbel, Ralf/Waibel u.a.
  • Korruptionsprävention im Gesundheitssystem durch Selbstkontrolle der Wirtschaft?, in: Duttge, G. (Hrsg.): Tatort Gesundheitsmarkt, Göttingen 2011, S. 87 – 107
    Kölbel, Ralf
  • Strafbarkeitsnahe vertragsärztliche Kooperationsformen, in: Neue Zeitschrift für Strafrecht 2011, S. 195 – 200
    Kölbel, Ralf
  • Unter Verdacht, in: führen & wirtschaften 2012, S. 12 – 15
    Kölbel, Ralf/Sulkiewicz
  • Zur Weiterentwicklung des Prüfungsverfahrens im DRG-System, in: Gesundheit und Pflege 2012, S. 126 – 131
    Kölbel, Ralf/Sulkiewicz
 
 

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