Räumliche Expansionsstrategien und internationale Standortsysteme von wissensintensiven Dienstleistungsunternehmen in der EU
Final Report Abstract
Unternehmensorientierte wissensintensive Dienstleister übernehmen im Prozess der Globalisierung neue komplexe Aufgaben und erschließen sich internationale Märkte. Sie übernehmen sowohl Aufgaben als Intermediäre mit vermittelnden Funktionen als auch als Input- bzw. Impulsgeber. Mit diesen Funktionen tragen sie wesentlich zur Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen bei. Ein besonders aktuelles und wenig analysiertes Themenfeld stellt in diesem Zusammenhang die Internationalisierungstendenz dieser Dienstleister dar. In dem Projekt wurden aus diesem Grunde deren raum-zeitliche Ausbreitungsmuster und neu entstehende Standortsysteme identifiziert und analysiert sowie die dahinter liegenden Motive, Strategien und Anpassungsnotwendigkeiten an die von den Rahmenbedingungen des Heimatmarktes abweichenden Kontexte der Zielländer an Hand der beiden sich stark unterscheidenden Dienstleistungsbranchen Rechtsberatung und Ingenieurdienstleistungen in zwei aufeinander bezogenen Teilprojekten untersucht. Mit Hilfe des gewählten Ansatzes einer Kombination von quantitativer und qualitativer Erhebung und Analyse gelang es, ein differenziertes Bild über die als Folge von internationalen Direktinvestitionen entstandenen Systeme von Niederlassungen europäischer Dienstleistungsfirmen aus beiden Branchen zu identifizieren. Mittels einer Clusteranalyse konnte aufgezeigt werden, dass Ingenieurdienstleister mit ihren Firmensitzen nicht nur global breiter aufgestellt sind als Rechtsberater sondern häufig auch innerhalb eines Ziellandes mehrere Büros neben Repräsentanzen an zentralen Orten besitzen. Rechtsberater haben dagegen ihren Fokus vorwiegend auf Wirtschaftszentren in Europa sowie manche außereuropäischen Wachstumsmärkte gerichtet. Firmensitze befinden sich fast ausschließlich in den führenden wirtschaftlichen und politischen Zentren des jeweiligen Landes. Die Unterschiede im Expansionsmuster lassen sich auf verschiedene Einflussfaktoren zurückführen. Für die Ingenieurdienstleister ergab eine Regressionsanalyse, dass kulturelle und regulative Barrieren einen wenn auch vergleichsweise geringen Einfluss auf die Expansion ausüben, während die wirtschaftlichen Potenziale der Zielmärkte wesentliche Treiber der Expansion sind. Offensichtlich fällt es den Ingenieurdienstleistern leichter, ihr materiell-objektbezogenes Wissen den Normen und Standards auf den Zielmärkten anzupassen als den Rechtsberatern ihr in den Heimatländern entwickeltes juristisches Wissen. Vor allem Ingenieurdienstleister, die nach 2000 internationalen Märkte betreten, expandieren in der Regel sofort in jene Märkte mit den größten wirtschaftlichen Chancen, wenn sich zum Beispiel diesbezügliche Möglichkeiten innerhalb der Netzwerkbeziehungen mit Kunden und Partnern ergeben. Dagegen sind manche Länder wie Indien oder China mit abgeschlossenen Rechtsräumen externen Rechtsberatern bis heute weitgehend verschlossen, oder nur unter bestimmten Auflagen zu erschließen. In den Fallstudien zu den Strategien der Expansion bestätigten sich die branchenspezifischen Besonderheiten der Expansionsmuster. Zwar ist bei beiden der Typus des “client follower“ als reaktive Form der Expansionsstrategie verbreitet, doch wurde auch deutlich, dass diese Strategie sowohl von Ingenieurdienstleistern als auch im geringeren Maße von Rechtsberatern genutzt wurde, um eigenen Expansionsziele auf den Zielmärkten zu verfolgen. Wir haben dieses Verhalten umschrieben als eine Kombination von proaktiven strategischen Überlegungen und der Nutzung von Möglichkeiten („seeking opportunities“), die sich innerhalb eines existierenden Firmennetzwerkes ergeben. Rechtsberater haben innovative Strategien der Entfaltung neuer Geschäftsfelder entwickelt. Sie gründen internationale Niederlassungen, um dort ansässige Firmen dabei zu beraten, wie sie sich im Falle eines Eintritts in den Heimatmarkt des Rechtsberaters auf das dortige Rechtssystem einzustellen hätten („reverse client follower“). Auch bezüglich der Anpassung an kognitive, kulturelle, und regulative Kontexte unterscheiden sich beide Branchen, vor allem hinsichtlich der konkreten Aspekte, welche bei der Anpassung im Vordergrund stehen. Für Rechtsberater sind Marktzugangsregulierungen von wesentlich höherer Bedeutung als für Ingenieurbüros, was sich auf traditionell stärker protektionistische Tendenzen innerhalb der Anwaltsprofessionen verschiedener Länder zurückführen lässt. Durch diese Regulierungen sind wirtschaftlich interessante Märkte wie die BRIC-Staaten Brasilien, Indien und China für Direktinvestitionen entweder gar nicht oder nur unter bestimmten Auflagen zugänglich, wodurch auch bestimmte Markteintrittsformen wie Assoziationen oder Joint Ventures mit lokalen Kanzleien fest vorgeschrieben sind. Daneben bestehen für beide Branchen Markteintrittsbarrieren bezüglich des lokalisierten Wissens, welches für deren Arbeit auf ausländischen Märkten nötig ist, die sowohl durch Anstellen lokaler Fachkräfte als auch durch Fusionen und Assoziationen mit ausländischen Unternehmen überwunden werden können. Da das relevante Wissen für Rechtsberater in vielen Tätigkeitsbereichen nationale Unterschiede aufweist, und da lediglich lokal qualifizierte Anwälte Dienste wie die Vertretung bei Gerichtsprozessen ausüben dürfen, ist die Anpassung über lokales Personal für Kanzleien von noch höherer Bedeutung als für Ingenieurbüros. Ein spezieller Aspekt der Kontextanpassung von Rechtsberatern besteht darin, dass sie sich auf bestimmte Kundenzielgruppen spezialisieren, die sich sowohl aus den Kontexten des Zielmarktes als auch den Institutionen des Heimatmarktes ergeben. Aufgrund begünstigender Kontexte auf ihrem Heimatmarkt besitzen britische Kanzleien meist mehr Internationalisierungserfahrung und Reputation als Kanzleien aus kontinentaleuropäischen Ländern. Von daher können letztere auf ausländischen Märkten vor allem dann erfolgreich agieren, wenn sie sich auf bestimmte Nischenmärkte konzentrieren, wie beispielsweise auf Kunden, welche im Heimatmarkt investieren möchten („reverse client following“), oder auf Kunden des eigenen Kultur- und Sprachraums. Die Diskussion vor allem der Anpassungsprozesse an die lokalen Kontexte hat auch Lernprozesse im Projektteam ausgelöst. Deutlich wurde, dass (i) das Eindringen in die Zielmärkte nicht nur mit einem Anpassungsprozess endet, sondern auf das Unternehmen zurückwirkt und dort innovative Lernprozesse anregt, die die interne Wissensbasis und internen Arbeitskulturen permanent verändern (Innovationen), (ii) in den Zielländern zu Veränderungen der institutionellen und regulativen Kontexte, bzw. zu einer Anpassung der dort gültigen Normen, Standards und Regularien an internationale Vorgaben anregt, (iii) der Internationalisierungsprozess nicht mit dem Markteintritt beendet ist, sondern dynamische Prozesse der Sicherung der Geschäftsbasis im Zielland folgen und (iv) möglicherweise auch ein Rückzug aus einzelnen Zielmärkten (Lernen aus Misserfolgen) notwendig werden kann. Schließlich wäre es (v) vorteilhaft gewesen, den Vergleich um den Bereich der Kreativwirtschaft (z.B. Werbung, Design) zu ergänzen, weil Dienstleister mit symbolischkulturellen Bezügen ihres Wissens sicher zusätzliche Erkenntnisse über die Expansionsmuster, Strategien und Anpassungsformen an die Bedingungen der Zielmärkte geliefert hätten. Zu allen fünf Aspekten liegen bisher nur wenige Untersuchungen vor. Es drängt sich deshalb geradezu auf, diese neuen Aspekte in einem erweiterten Branchenvergleich wissenschaftlich zu untersuchen.
Publications
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(See online at https://doi.org/10.1007/978-3-658-17157-5)