Die Veränderung von Entscheidungsprozessen in Arbeitsgruppen durch die Einführung des Internets am Beispiel der Ermittlungsarbeit der Polizei
Zusammenfassung der Projektergebnisse
1. Ein softwarebedingter Standardisierungsschub verändert die Ermittlungsarbeit der Polizei: Die Einführung von Fallbearbeitungssoftware führt zu einem standardisierten Verhaltensprogramm und Datenerhebungszwang, der unabhängig von der Kompetenz des einzelnen Beamten und „scheinbar“ von praktisch jedem Ermittler abgearbeitet werden kann. Dieser Weg führt von den einzelnen Ermittlern, deren Tun vor allem von ihren Erfahrungen und der Kommunikation mit den Kollegen/innen gelenkt wird, hin zu einer Art 'kollektiven', überindividuellen Intelligenz, die von den Entwicklern in die Software eingeschrieben wurde und die sich dort auch manifestiert. Zugespitzt könnte man dies auch als die tendenzielle "Minderung/Beseitigung des menschlichen Faktors aus der polizeilichen Ermittlungsarbeit" nennen. 2. Private Anbieter sind neue Akteure der Inneren Sicherheit: Sowohl die Hardware als auch die Softwarepakete werden in der Regel nicht mehr von der Polizei selbst produziert, sondern von externen privaten Unternehmen entwickelt, vertrieben und auch gewartet. Private Unternehmen sind in ihrer Handlungslogik, selbst dann, wenn sie sich auf die Geheimhaltung und die Nichtweitergabe von Software freiwillig verpflichten, nicht dem Aufbau und der Erhaltung der inneren Sicherheit, sondern sie sind ihren Kapitalgebern, und damit auch der systematischen Vermehrung von deren Gewinn verpflichtet. 3. Neuartigkeit der Geräte und Softwarepakete beansprucht einen immer größeren Teil der Aufmerksamkeit der Ermittler: Die konkrete Arbeit der Polizei verändert sich hin zur Nutzung der IuK-Medien und andere Kompetenzen werden relevant. Die Bedeutung der Kommunikation mit Zeugen, Verdächtigen und Kollegen nimmt ab, die Bedeutung von Technikkenntnissen nimmt zu. 4. Technisch vermittelte Handlungsabstimmung der Polizei findet zunehmend statt über E-Mails anstelle von persönlicher Kommunikation: Es findet eine Verlagerung zur Formalität hin statt und ein Zurückdrängen von Informalität, was auch das Ende der "Teeküchen" als Orte der informellen Kommunikation bedeutet. Über E-Mail Versendung kommt es zur großflächigen Verantwortungsweitergabe an Andere. 5. Von der subjektiven zur objektiven Spur - Ermittlungsarbeit und Spurenbewertungen werden immer anspruchsvoller: Damit einher geht eine generelle Umstellung von "kognitiver Arbeit von Ermittlern" (einzeln oder in Kommissionen) am Einzelfall hin zur "computergestützten Analyse von Big Data" (Überwachungskameras, Silent SMS und IMSI-Catcher, Datenspeicherung, Festplattenauswertung, Analyse von Navigationsgeräten, Sammlung und softwaregestützte Auswertung von großen Mengen technisch aufgezeichneter Daten). 6. Einführung der IuK-Medien führt zu einer "neuen Ermittlungskultur": Diese ist gekennzeichnet durch die weitgehende Umstellung von der Untersuchung der subjektiven Spur hin zur Untersuchung der objektiven Spur. Insgesamt findet sich de facto eine deutliche Verschiebung von den "Menschen auf die Dinge", welche durch die Einführung der IuK-Medien verstärkt wurde und auch noch weiter verstärkt wird. Die Veränderungen erfolgen auf drei Ebenen: vom Kollegen bzw. der Kollegin hin zum Rechner, von der mündlichen zur schriftlichen Kommunikation und von der Beachtung der subjektiven Spur zur Beachtung der objektiven Spur: die stummen Zeugen (DNA etc.) interessieren mehr als die sprechenden (Zeugen, Beschuldigten).
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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(2010): Mediatisierung der Sicherheitspolitik. In: Axel Grönemeyer (Hrsg.) Wege der Sicherheitsgesellschaft. Wiesbaden: VS. Verlag. S. 40-61
Reichertz, Jo
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(2011): Hermeneutische Polizeiforschung. In: Martin Möllers & Robert van Ooyen (Hrsg.) Polizeiwissenschaft. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft. S. 69-99
Reichertz, Jo
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(2011): Polizeiwissenschaft, Polizeiforschung und Polizeipraxis. Im Gespräch mit Jens Broderius. In: Thomas Feltes (Hrsg.) Polizeiwissenschaft: Von der Theorie zur Praxis. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft. S. 9-30
Reichertz, Jo
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(2012): Hermeneutische Polizeiforschung. In: Polizei & Wissenschaft H3, S. 84-86
Reichertz, Jo
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(2012): Polizei. In: Apelt, Maja, Veronika Tacke (Hrsg.): Handbuch Organisationstypen. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaft. S. 113-132
Wilz, Sylvia Marlene
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(2013): Sozialwissenschaftliche Methoden in der Polizeiwissenschaft. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft
Reichertz, Jo & Anna Schnepper (Hrsg.)
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(2015): Geerbte Felddaten. In: Poferl, Angelika & Jo Reichertz (Hrsg.): Wege ins Feld – methodologische Aspekte des Feldzugangs. Essen: Oldib Verlag. S. 375-384
Bidlo, Oliver
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(2015): Wege ins Feld – methodologische Aspekte des Feldzugangs. Essen: Oldib Verlag
Poferl, Angelika & Jo Reichertz (Hrsg.)
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(2015): „Aber das spricht man dann auch immer ab, ne?“ Kommunikation und Entscheidung in der polizeilichen Ermittlungsarbeit. In: Kriminologisches Journal , 2015, H. 2, S. 112-130
Wilz, Sylvia Marlene