Formen des Krieges, politische Herrschaft und die Entgrenzung der Gewalt. Zur Soziologie des Kolonialkrieges am Beispiel der Kriege in Deutsch-Südwestafrika, 1904-1908
Final Report Abstract
Zentraler Gegenstand des Forschungsprojekts ist die Prozeßhaftigkeit der Gewalt resp. ihrer Entgrenzung in „Deutsch-Südwestafrika“ (1904-1908), wobei das Hauptaugenmerk auf dem Feldzug gegen die Herero (1904) liegt. Die Genozidforschung im Allgemeinen und zu DSW im Besonderen neigt zu einer ‚teleologischen‘ Sichtweise. Diese schließt die Annahme ein, daß die deutsche Seite frühzeitig den Plan verfolgte, die Indigenen auszurotten, und daß sich dieser Plan in der Folge mehr oder minder reibungs- und bruchlos entfaltete, wobei die Phasen des Geschehens als vorprogrammierte Etappen betrachtet werden, die gleichsam aus einem einigen Ursprung hervorgehen und sich wie ‚aus einem Guß‘ auseinander entwickeln. Diese Sicht zeichnet das Bild eines ‚monolithischen‘ Geschehens, das sich linear und monologisch entwickelt, auch weil es einseitig von den Tätern bestimmt ist. Die Ergebnisse des Forschungsprojekts machen hingegen deutlich, daß extreme Gewalt aus offenen, kontingenten und kumulativen Prozessen resultiert, und zeigt, daß der Gang der Ereignisse in DSW von dem Zusammenspiel irreduzibler, eigenständiger Akteure resp. Akteursgruppen bestimmt war, die jeweils eigene, durchweg ursprünglich nicht-exterminatorische Zielsetzungen verfolgten, und daß die Gewalt Dimensionen besaß, die in dem herkömmlichen „top-down“-Schema der Genozidforschung nicht aufgehen. So nahm die Art und Weise, wie die Herero den Krieg begannen und führten, eine wichtige Weichenstellung für den weiteren Verlauf des Konflikts vor. Bereits die ‚Friedenszeiten‘ waren von der Gewalt und Grausamkeit der Siedler bestimmt, und dies galt erst recht die ersten Wochen und Monate des Krieges. Mit dem zwischenzeitlich schwindenden Einfluß der Siedler bestimmten die Metropole und die von ihr entsandten Militärs das Geschehen. Auch die Dynamiken des Kleinen Krieges prägten das Geschehen. Die Rekonstruktion des Prozesses der Gewaltentgrenzung beschränkt sich nicht auf die vergleichsweise kurze, genozidale Phase, in welche der Krieg erheblich später eintrat und die auch früher endete, als üblicherweise angenommen wird. Nicht zuletzt die bisher der Öffentlichkeit unzugänglichen Originaltagebücher des Generals Lothar v. Trotha belegen, daß der „Vernichtung“ lange Zeit eine ‚konventionelle‘ Bedeutung eignete. Am Anfang des Feldzuges stand kein Plan zur Ausrottung der Herero. Der Krieg entgrenzte allmählich und trat in seine genozidale Phase ein, als alle ursprünglichen Planungen gescheitert waren. Durch die Intervention des Deutschen Reiches wurde die im engeren Sinne genozidale Phase des Feldzuges zwar beendet, aber in den Lagern setzte sich die extreme Gewalt gegen die Indigenen weiter fort. Auch wenn die Lagerherrschaft sozusagen den Pardon institutionalisieren sollte, den die vorgängige Vernichtungsstrategie den Herero noch verweigert hatte, und die Schwelle zum Genozid nicht mehr überschritt, war sie von maßloser Gewalt und Grausamkeit geprägt. Raphaël Lemkins These, wonach der Siedlerkolonialismus von Haus aus genozidal sei, bestätigt sich zumindest mit Blick auf DSW nicht. Die genozidale Phase des Krieges war von vergleichsweise kurzer Dauer und ging auf das außerordentliche Engagement der Metropole zurück. Daher lassen sich die Kontinuitäten deutscher kolonialer Herrschaft nicht auf der Grundlage des Genozidkonzepts erfassen. Die längerfristige Kolonialpolitik, die auch von den Siedlern befürwortet wurde, setzte auf die Koexistenz mit den Indigenen, aber knüpfte diese Koexistenz an die Bedingung der radikalen Unterwerfung der letzteren. Diese unterwerfenden Praktiken nennt das Projekt „eradierende“ Praktiken. Nur scheinbar war die Gewalt im Zeichen der Unterwerfung noch durch Zweck-Mittel-Erwägungen ‚domestiziert‘; tatsächlich waren die den indigenen Gruppen innerhalb wie auch später außerhalb der Lager auferlegten Lebensbedingungen so hart, daß entgegen den eigentlichen Prämissen der Kolonialherren der Bestand der Gruppen resp. ihrer Mitglieder ernsthaft gefährdet war.
Publications
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Häußler, Matthias
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Häußler, Matthias
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Häußler, Matthias
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Häußler, Matthias