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Dramatik, Darwinismus und der Kampf um die Aufmerksamkeit des Lesers. Zoologische Illustrationen in deutschen Publikumszeitschriften um 1900

Applicant Dr. Alexander Gall
Subject Area History of Science
Term from 2009 to 2011
Project identifier Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - Project number 140351110
 
Final Report Year 2014

Final Report Abstract

Das Projekt hat drei zentrale Ergebnisse zu den populären zoologischen Illustrationen in Deutschland zwischen 1860 und 1914 geliefert. In Brehms Thierleben zeichnen sich die Illustrationen dadurch aus, dass die Zeichner die Tiere nicht im Kontext des Zoos, in dem sie sie beobachteten, sondern in ihrer vermeintlich natürlichen Umgebung darstellten und dabei jeden Hinweis auf den Zoo tilgten. Gelegentlich unterliefen ihnen dabei Fehler und sie zeigten die Tiere in einer Pflanzenwelt, die in deren Heimat nicht existierte. Das führte zu der These, dass der Tierpark aufgrund seines artifiziellen Charakters nicht auf den Bildern des Thierlebens in Erscheinung trat: Die Zeichner fürchteten offenbar, andernfalls die „wahre Natur“ oder das „echte Leben“ und damit die Authentizität ihrer Darstellung zu beeinträchtigen oder gar zu verfehlen. Außerdem belegen die Projektergebnisse, dass entgegen der bisher von der Forschung vertretenen Auffassung die Illustrationen des Thierlebens keineswegs eine vom „Kampf ums Dasein“ geprägte Natur in Szene setzten. Der Ausgangsthese des Projekts entsprechend nutzte die auflagenstarke Zeitschrift Gartenlaube attraktive und dramatisierte zoologische Illustrationen, um die Aufmerksamkeit der Leser für sich zu gewinnen. Anders als erwartet dienten diese Illustrationen aber nur in Ausnahmefällen zur Vermittlung des Darwinismus, stattdessen ist eine Art Verselbständigung vom unmittelbaren Textzusammenhang feststellbar. Die Projektergebnisse zeigen, dass die Redaktion der Gartenlaube den zoologischen Illustrationen tatsächlich eine ähnlich hohe Attraktivität für die Leserschaft beimaß wie der Abbildung von Kunst. In dem aus Naturkunde, Medizin, Geographie und Technik bestehenden Themenspektrum nahm die Zoologie damit eine Sonderstellung ein und stellte nicht nur das meist behandelte Thema nach der Medizin dar, sondern zeichnete sich hier auch durch die höchste Anzahl illustrierter Beiträge aus. Auch bei der Berliner Illustrirten Zeitung nahm mit der Verfügbarkeit attraktiver Fotografien von Tieren die Häufigkeit zu, mit der Beiträge über zoologische Themen erschienen. Schließlich hat das Projekt herausgearbeitet, wie sehr sich die führenden deutschen Tierfotografen in der Zeit um die Jahrhundertwende an den zoologischen Zeichnungen orientierten und die Tiere bei ihren Aufnahmen möglichst in „natürlicher“ Umgebung oder in einem dramatischen Moment zu zeigen versuchten. Dafür nahmen sie Inszenierungen mit gemalten Hintergründen, die gezielte Bereitstellung von (angebundenen) Beutetieren, massive Retuschen und weitere manipulative Eingriffe in Kauf. Sie selbst und die Kritik sprachen ihren Werken dennoch ein höheres Maß an Authentizität und Objektivität zu als entsprechenden Zeichnungen. Das führt zu der These, dass die Fotografen die Spannung zwischen der Inszenierung ihrer Aufnahmen und dem Anspruch auf Naturwahrheit deshalb nicht auflösten, weil sie für ihre Bilder weder auf wissenschaftliche Reputation, noch auf die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit verzichten wollten. Der wesentliche Forschungsbeitrag des Projekts besteht also in der Analyse der Verwendung, der Dekonstruktion und in Ansätzen auch der Rezeption der populären zoologischen Bilder in Deutschland zwischen den 1860er Jahren und dem Ersten Weltkrieg. Ihre Bedeutung für die Popularisierung der Zoologie ist kaum zu überschätzen.

Publications

  • 2011: Authentizität, Dramatik und der Erfolg der populären zoologischen Illustration im 19. Jahrhundert: Brehms Thierleben und die Gartenlaube, in: Stefanie Samida (Hg.): Inszenierte Wissenschaft. Zur Popularisierung von Wissen im 19. Jahrhundert. Bielefeld 103–126
    Gall, Alexander
  • Lebende Tiere und inszenierte Natur: Zeichnung und Fotografie in der populären Zoologie zwischen 1860 und 1910. NTM Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin, June 2017, Volume 25, Issue 2, pp 169–209
    Gall, Alexander
    (See online at https://doi.org/10.1007/s00048-017-0171-x)
 
 

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