Narrarive Vermittlung kollektiver traumatischer Erfahrungen am Beispiel des griechischen Bürgerkriegs
Final Report Abstract
Die in der psychotraumatologischen Literatur beschriebenen „Traumatypen" und -Symptome finden in der narrativen Repräsentation kollektiver traumatischer Ereignisse ihre Entsprechung. Neben Narrativen, in denen jede Repräsentation eines Traumas fehlt oder in denen traumatisierte Figuren beschrieben werden, gibt es Texte, die einen „traumatischen Diskurs" aufweisen. Hier steht die Rekonstruktion von Erinnerung zu einem Narrativ im Mittelpunkt. Dies gilt mehr für fiktionale Texte als für solche, in denen natürliche Personen über sich selbst berichten. Autobiografische Texte unterliegen deutlich spezifischeren Gattungskonventionen. Sie weisen nur in seltenen Ausnahmen einen traumatischen Diskurs auf und zeichnen sich vielmehr durch Strategien des (Ver-) Schweigens aus. Die Lektüre der Texte als Korpus ermöglicht eine Periodisierung: In der Phase der Latenz und der Ausbildung einer Erinnerungskultur (1949-1974) konkurrieren öffentliches Schweigen und elitäre, engagierte Erinnerungsstiftung. In dieser Phase dominiert die fiktionale Literatur: Ihre Figuren und deren Taten sind nicht „justiziabel". In autobiographischen Texten wird auf Kollektive fokussiert, die verantwortlichen Akteure verschwinden in der Masse. In der Phase der Thematisierung von Leid und der Anerkennung von Opferschaft (1974-1989) rücken natürliche Personen und somit autobiografische Texte in den Mittelpunkt. Autofiktionale Texte kombinieren die Vorteile fiktionalen und autobiografischen Schreibens: Das persönliche Schicksal wird zum Paradigma für das Kollektiv. In der Phase der Vergangenheitsaufbewahrung und der partiellen Heilung (seit 1989) wird die umfangreiche Produktion an Selbstzeugnissen fortgesetzt, die Narrative beinhalten nun verstärkt auch die veränderte Sicht auf die Ereignisse. Dies führt in der Fiktion zu einer Revision der Rollen von Opfern und Tätern, nicht aber in den Selbstzeugnissen, was die unterschiedliche Funktion der Textsorten bestätigt. Ein karikierender Blick auf Täter und Opfer bleibt weiterhin ein Tabu. Die Datenblätter machen die Texte, auch sortenübergreifend, grundsätzlich vergleichbar. Zugleich machen sie „Traumatexte" narratologisch beschreibbar. Merkmale des „traumatischen Diskurses" sind Erzählerzeit, Präsenz eines textinternen Adressaten, figurale Perspektive, zeitliche Inkongruenz zwischen Diskurs und Geschichte und eine Repräsentation mentaler Prozesse. Autobiographische Texte, die keinen „traumatischen Diskurs" aufweisen, sind tendenziell durch eine narratoriale Perspektive, das Adressieren an textexterne Instanzen, schwächer auskonturierte Figuren, eine chronologische Anordnung von Ereignissen und fehlende Reflexion der Prozesse von Erzählung und Erinnerung gekennzeichnet. Fiktionale und autobiografische Narrative unterscheiden sich in ihrer Funktion. Die Fiktionalität der Figuren ermöglicht Aussagen über Schuld und Täterschaft, die bei gegebener Identität von Autor und Protagonist vermieden werden.
Publications
- Ανάπτυξη, δράση και ήττα του Δημοκρατικού Στρατού στη Ρούμελη μέσα από γραπτές μαρτυρίες αγωνιστών (Entwicklung, Tätigkeit und Niederlage der Demokratischen Armee in Roumeli bei Zeitzeugen- berichten), In: K. Bada / Th. D. Sfikas (Hrsg.), Κατοχή – Αντίσταση – Εμφύλιος - Η ΑΙΤΩΛΟΑΚΑΡΝΑΝΙΑ ΣΤΗ ΔΕΚΑΕΤΙΑ 1940-1950 (Besatzung - Widerstand - Bürgerkrieg.Ätoloakarnania von 1940 bis 1950), Athen, 2010, pp. 325-359.
Thomas Kyriakis
- Trauma - memory - narration. Greek Civil War novels of the 1980s and 1990s. Byzantine and Modern Greek Studies, Vol. 35. 2011, Issue 1, pp. 92-108.
Athanasios Anastasiadis
(See online at https://doi.org/10.1179/030701311X12906801091674) - Αυτοβιογραφία και προσωπική ταυτότητα: οι γραπτές μαρτυρίες για τον Εμφύλιο (Autobiografie und Identität: die Zeitzeugenberichte zum griechischen Bürgerkrieg). Proceedings of the 4th European Congress of Modern Greek Studies, organised by the European Society of Modern Greek Studies, University of Granada, 9-12 September 2010, Vol. 5. 2011, pp. 321-335.
Thomas Kyriakis
- Transgenerational Communication of Traumatic Experiences. Narrating the Past from a Postmemorial Position. Journal of Literary Theory, Bd. 6. 2012, Issue 1 (Sonderheft "Trauma and Literature), pp. 1-24.
Athanasios Anastasiadis
(See online at https://doi.org/10.1515/jlt-2011-0005) - Narrative Vermittlung kollektiver traumatischer Erfahrungen am Beispiel des griechischen Bürgerkriegs. online-Publikation 2013.
Ulrich Moennig, Athanasios Anastasiadis
- Wie siamesische Zwillinge. Widerstand und Bürgerkrieg in der griechischen Nachkriegsliteratur. In: Die Okkupation Griechenlands im Zweiten Weltkrieg - Griechische und deutsche Erinnerungskultur,
ed. by Kambas, Chr./ Mitsou, M., (Int. Tagung "Erinnerungskultur und Geschichtspolitik der Okkupation Griechenlands (1941-1944). Dt.-griechisches Gedächtnis in Medien und Literatur, München (LMU), 19.-21. Juli 2012), Böhlau Verlag, 2015, pp. 285–310.
Ulrich Moennig
(See online at https://doi.org/10.7788/9783412218379-016) - Ὀχι οι Γερμανοί, οι δικοί μας – Nicht die Deutschen, unsere eigenen Leute. Kollaborations-Diskurse in der Literatur der Nachgeborenen.
In: Die Okkupation Griechenlands im Zweiten Weltkrieg -
Griechische und deutsche Erinnerungskultur, ed. by Kambas, Chr. / Mitsou, M., Böhlau Verlag, 2015, pp. 311–328.
Athanasios Anastasiadis
(See online at https://doi.org/10.7788/9783412218379-017)