Evangelische Pfarrer und religiöse Sozialisation. Insitutionalisierte Religion und Säkularisierung in der Bundesrepublik aus sozialgeschichtlicher Perspektive (1945 bis Mitte der 1970er Jahre)
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Das Projekt richtete sich auf eine Analyse evangelischer Pfarrer in der Bundesrepublik als Instanzen religiöser Sozialisation. Im Mittelpunkt standen die Sozialisation verschiedener Pfarrergenerationen und deren sozialisatorische Wirkung. Dabei sollten Reaktionsmuster der Pfarrer auf Beeinträchtigungen ihrer dominierenden Stellung bei der religiösen Sozialisation im Zusammenhang mit Säkularisierungsprozessen und sozialem Wandel herausgearbeitet werden. Das Sozialprofil der Pfarrerschaft nach 1945 war relativ stabil: Sie rekrutierte sich aus Angestellten- und Beamtenfamilien; 1/5 bis 1/4 der Pastoren stammte aus einem Pfarrhaus. In den 1960er und 1970er Jahren sank die Selbstrekrutierungsquote und stieg der Anteil der Arbeiterkinder. Unterschiedliche Pfarrergenerationen hatten unterschiedlichen Anteil an Sozialisationskrisen des 20. Jahrhunderts. Idealtypisch lassen sich drei Generationen unterscheiden: 1) die vor dem oder während des Ersten Weltkriegs Geborenen, die den Kirchenkampf trugen und an innerkirchlichen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit maßgeblich beteiligt waren; 2) die um 1930 Geborenen, die in den 1960er Jahren den Generationswechsel besfimmten und zum eigentlichen Träger der kirchlichen Reformbemühungen wurden; 3) die kurz vor dem oder während des Zweiten Weltkriegs Geborenen, die in den 1970er Jahren Impulse der Kirchenreform, der Verwissenschaftlichung und der Professionalisierung der Seelsorge aufnahmen. Die Antworten der Kirche auf religiöse Desozialisationstendenzen bestanden u. a. in einer Belebung von Inklusionsmechanismen („mündige Laien"), Differenzierung und Spezialisierung der pfarramtlichen Aufgaben (Funktions- und Gruppenpfarrämter) oder Verstärkung der diskursiven Elemente der kirchlichen Arbeit („dialogische Verkündigung"). Die Pfarrer, als Repräsentanten und Personifikation der Kirche, reagierten auf die abnehmende Wirksamkeit ihres sozialisatorischen Einflusses, besonders ab den 1960er Jahren, mit neuen, zielgruppenorientierten Formen der Gemeindearbeit, mit einer Revision der Inhalte und vor allem der Zielsetzungen des sozialisatorischen Handelns und einer Hinwendung zur Gemeinwesen- und Sozialarbeit. Zugleich politisierte sich ein Teil der Pfarrerschaft. Diese beiden Aspekte waren darüber hinaus Äußerungen des Wandels im Berufsbild der Pfarrer im Laufe der 1960er und 1970er Jahre, in dem solche Rollenzuschreibungen wie theologischer Berater und Interpret, Therapeut, „Krisenagent" oder „Bürge" an Bedeutung gewannen.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
- Die Welt als Stadt? Zur Entwicklung des Stadt-Land-Gegensatzes im 20. Jahrhundert, in: Friedrich Lenger/Klaus Tenfelde (Hg.), Die europäische Stadt im 20. Jahrhundert. Wahrnehmung - Entwicklung - Erosion, Köln u. a. 2006, S. 233-264
Klaus Tenfelde
- Sozialisationsforschung und religiöse Sozialisation im 20. Jahrhundert aus historischer Sicht. Ein Forschungsaufriss, in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 36 (2006), 8. 65-84
Dimitrij Owetschkin
- Religion und Sozialisation. Bericht über Projekte im Rahmen der DFG-Forschergruppe „Transformation der Religion in der Moderne", in: Mitteilungsblatt des Instituts für soziale Bewegungen 38 (2007)
Dimitrij Owetschkin, Julia Riediger
- Religion und Religiosität der Arbeiter im Ruhrgebiet, in: Klaus Tenfelde (Hg.), Religion in der Gesellschaft. Ende oder Wende?, Essen 2008, 8. 9-38
Klaus Tenfelde