Raub, Rache und "Fehde" im spätmittelalterlichen England
Final Report Abstract
Das Teilprojekt „Raub, Rache und ‚Fehde‘ im spätmittelalterlichen England“ widmete sich der Untersuchung fehdeförmlicher Gewalt im spätmittelalterlichen England. In den Blick genommen wurden die Gewalthandlungen adliger Gefolgschaften, sogenannter „affinities“, insbesondere in den 1450er Jahren. Zentrales Untersuchungsobjekt bildeten dabei die Auseinandersetzungen, die in den Jahren 1453 und 1455 in der Grafschaft Yorkshire zwischen den hochadligen Familien Percy und Neville ausgetragen wurden. Im Fokus der Untersuchung standen zum einen Art und Umfang der Gewaltakte, zum anderen die soziale Zusammensetzung und der zahlenmäßige Umfang der Tätergruppen. Insbesondere konnte dabei nachgewiesen werden, dass sich der Einsatz von Gewalt im Rahmen von adeligen Konflikten signifikant sowohl in Qualität als auch Quantität von gängigen Gewaltpraktiken im Kriegsfall unterschied. Gewalt erfolgte in kalkulierter, nicht eskalierender Form gegen ausgewählte Personen und Personengruppen. Tötungen wurden dabei weitgehend vermieden, sondern die Opfer statt dessen durch Drohung und Misshandlung eingeschüchtert. Auch Akte gezielter Zerstörung sind nachzuweisen, seltener temporäre Entführungen und Plünderungen. Mitunter kam es zu bewaffneten Versammlungen von mehreren hundert bis mehreren tausend Mann, die nur in seltenen Fällen in bewaffneten Konflikten mündeten, sondern meist zur Machtdemonstration und Einschüchterung dienten. Kriegsübliche Gewaltpraktiken wie eben die gezielte Tötung, aber auch Vergewaltigung oder Brandlegung fehlen in adeligen Konflikten nahezu gänzlich. Die Kerngruppe der beteiligten Personen in adeligen Konflikten stammte aus dem unmittelbaren Umfeld der Konfliktführer. Ergänzt wurden solche Kerngruppen durch die Diener der eigenen Gutshöfe sowie ad hoc angeheuerte Personen. Professionelle Soldaten standen während der gesamten ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts zur Verfügung, spielten aber in den adeligen Konflikten keine besondere Rolle. Die geringe direkte Wechselwirkung zwischen Kriegsgeschehen an den Grenzen bzw. in Frankreich und gewaltsamem Konfliktaustrag in England war ein überraschender Befund. Die Tatsache, dass diese Art von Konflikten mit bekannten und begrenzten Gewaltpraktiken ausgeübt wurde, erklärt auch den gesellschaftlichen und juristischen Umgang mit diesen Auseinandersetzungen. So mussten die Beteiligten zwar mit juristischen Konsequenzen ihrer Handlungen rechnen, doch konnten diese in aller Regel durch eine Strafzahlung abgewendet werden. Die Illegalität adeliger Konflikte mag der Grund dafür sein, dass diese im Gegensatz zur Teilnahme an regulären Kriegen kaum Erwähnung in den Chroniken adeliger Familien finden. Die geringe Aufmerksamkeit, die adelige Konflikte in den allgemeiner angelegten zeitgenössischen Chroniken auf sich zogen, dürfte mit der Alltäglichkeit und dem eingeschränkten Gewaltspektrum solcher Konflikte zusammenhängen.
Publications
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Logik der Gewalt. Die Auseinandersetzungen der Percy und der Neville um die Mitte des 15. Jahrhunderts im Abgleich mit der kontinentalen Fehdepraxis, in: Winfried Speitkamp (Hg.), Gewaltgemeinschaften. Von der Spätantike bis ins 20. Jahrhundert, Göttingen 2013, S. 103−148
Peter Hesse / Christine Reinle
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Fehdehandeln und Fehdegruppen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa, Göttingen 2014
Mathis Prange / Christine Reinle (Hg.) unter redaktioneller Mitarbeit von Susanne V. Weber
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Practices of Violence and Their Limits. The Percy-Neville Feud in the 1450s, in: Cora Dietl / Titus Knäpper (Hg.), Rules and Violence / Regeln und Gewalt. On the Cultural History of Collective Violence from Late Antiquity to the Confessional Age, Berlin / Boston 2014, S. 175−191
Mathis Prange
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Überlegungen zu Eigenmacht und Fehde im spätmittelalterlichen Europa. Einführung in Fragestellung und Ergebnisse des Sammelbandes 2 "Fehdehandeln und Fehdegruppen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa", in: Fehdehandeln und Fehdegruppen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa, hg. von Mathis Prange et al., Göttingen 2014, S. 9-38
Christine Reinle