Entortung, hybride Sprache und Identitätsbildung. Zur Erfindung von Sprache und Identität bei Franz Kafka, Elias Canetti und Paul Celan
Zusammenfassung der Projektergebnisse
Ausgehend von einer kritischen Dezentrierung der Position des Autors wird in der interdisziplinär durchgeführten Forschung die Frage nach der Konstitution von Sprache und Identität in der Diaspora untersucht, wie sie von der Literatur - am Beispiel von Franz Kafka, Elias Canetti und Paul Celan - gestellt und mit deren spezifischen Mitteln behandelt wird. Dabei werden die vornehmlich in den postkolonialen Kulturwissenschaften und in poststrukturalistischen Theorien rege erörterten Modelle von Sprache und von einer Identität, die durch „Anrufung" oder gar erst durch subversive Aneignung der diskursiven Macht konstituiert wird, kritisch diskutiert mit dem Ziel, der Arbeit einen begrifflichen und methodischen Orientierungsrahmen zu verschaffen. Entgegen der in diesen Diskursen entwickelten Konzeptionen der Subjektformierung erschließen die von mir behandelten Diaspora-Autoren durch das Schreiben, durch die Hinwendung zum Bereich des Fiktionalen einen machtfreien Bereich, der hinsichtlich eines Nachdenkens über Sprache und Identität insofern produktiv ist, als dort Szenarien der interkulturellen Begegnung und diasporischen Erfahrung arrangiert und, als Möglichkeiten einer Selbstfindung, als verschiedene Identitätsmodelle erprobt werden. Dabei machen sie deutlich, dass sich im Prozess der Subjektkonstitution Erinnerungen, Wünsche, aber vor allem auch am eigenen Leib gemachte Erfahrungen mit der diskursiven Macht artikulieren. Neu an dieser Konzeption ist die Tatsache, dass die Erfahrung der Diaspora, der Entortung die Möglichkeit bietet, die Auffassung diskursiv konstituierter Identitäten kritisch zu hinterfragen und zu erweitern. Die Tragweite der auf dem Versuchsfeld, zu dem Literatur wird, entwickelten Sprach- und Identitätsmodelle wird dadurch belegt, dass in der sozial- und kulturwissenschaftlichen Diskussion über Sprache und Identität gern auch auf von der Literatur erarbeitete Modelle wie „Hybridität" und „Übersetzung" zurückgegriffen wird. Was nun die hier behandelten Autoren betrifft, so ist gleichermaßen nicht selbstverständlich und deshalb umso auffälliger, dass sie ausgehend von einer Klage über einen mangelnden Boden, von einem Gefühl, über einem Abgrund zu schweben, sich schreibend mit der deutschen Sprache identifizieren, ja dass zwei von ihnen, Canetti und Celan, das Deutsche ihre „Muttersprache" nennen. Damit führen sie die Notwendigkeit vor Augen, den Begriff „Muttersprache" von seinen essentialistischen Wurzeln loszulösen, die Möglichkeit, ihn zur Beschreibung von diasporischen Spracherfahrungen brauchbar zu machen. Mit ihrer Identifikation mit der deutschen Sprache unterstreichen sie, dass ein Verständnis von Muttersprache als der Sprache, die das Kind von der geliebten Mutter lernt, aber auch als die Sprache, die frühere Generationen gesprochen haben, nicht antiquiert oder gar ,überholt' sei. In diesem Sinne werde eine Sprache nach wie vor als Muttersprache gepflegt. Obsolet bei der Konzeptualisierung diasporischer Identitäten sei, so demonstrieren sie, die herkömmliche Unterscheidung zwischen Mutter- und Fremdsprache bzw. zwischen Erst- und Zweitsprache. Mit ihrem Verständnis von „Muttersprache" erschließen sie sich neuartige Möglichkeiten, sich selbst zu gestalten, über Welt zu sprechen und sich zwischen den Kulturen zu positionieren. Die hier behandelten Autoren dokumentieren somit den besonderen Stellenwert der Sprache im Prozess der Konstitution diasporischer Identitäten.
Projektbezogene Publikationen (Auswahl)
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Dekonstruktion, Postkolonialität und Hybridität. Über Sprache und Identität bei Jacques Derrida, Edouard Glissant und Abdelkebir Khatibi. In: Weltengarten. Deutschafrikanisches Jahrbuch für interkulturelles Denken. Hrsg. von Leo Kreutzer und David Simo. Hannover: Revonnah 2005, S. 211-234
Patrice Djoufack
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Heterotopie und Diaspora. Zur Identitätsfrage in Elias Canettis Roman Die Blendung. In: Acta Germanica. German Studies in Africa. Jahrbuch des Germanistenverbandes im südlichen Afrika. Bd. 33, 2005. Frankfurt/M.: Peter Lang 2006, S. 51-67
Patrice Djoufack
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Identitätskonstitution in der Diaspora. Franz Kafka und der zionistische Diskurs. In: Weltengarten. Deutsch-Afrikanisches Jahrbuch für interkulturelles Denken. Hrsg. von Leo Kreutzer und David Simo. Hannover: Revonnah 2006, S. 18-41
Patrice Djoufack
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Mündlichkeit, Schriftlichkeit, différance. Oralität als ästhetisches Verfahren in Elias Canettis Roman Die Blendung. In: Oralität und moderne Schriftkulturen. [= Weltengarten. Deutsch-Afrikanisches Jahrbuch für interkulturelles Denken]. Hrsg. Leo Kreutzer, David Simo und Hans-Peter Klemme. Hannover: Revonnah 2007/2008. S. 291-306
Patrice Djoufack