Multistabile Wahrnehmung - Kortikale Mechanismen und klinische Anwendung
Final Report Abstract
Betrachtet man eine mehrdeutige Figur („Kippfigur“) über längere Zeit, so wechselt die Wahrnehmung spontan, obwohl die Figur selbst physisch unverändert bleibt. Mit unserem Onset-Paradigma konnten wir den Zeitpunkt des endogenen Wahrnehmungswechsels auf ± 30 ms eingrenzen und somit ein Zeitfenster von ungefähr 200 ms für die Wechsel-relevanten neuronalen Prozesse definieren. Im Rahmen dieses Projektes suchten wir nach EEGModulationen bei Wahrnehmungswechseln in Abhängigkeit von Bottom-up und Top-down Faktoren. Die insgesamt negativen Befunde führten uns zu dem Konzept zweier unabhängiger Prozesse, einer Destabilisierung der zu einem Perzept gehörenden neuronalen Repräsentation und einer schnellen, automatisierten und nicht modulierbaren Disambiguierung/ Restabilisierung. Letzteres würde unsere Negativbefunde erklären. Ferner suchten wir nach EEG-Korrelaten zur „Repräsentationstiefen“ von Kippfiguren im Vergleich zu deren eindeutigen Varianten und fanden als neuen, bisher unbekannten Effekt eine starke Positivität (P400) nur bei eindeutigen, nicht bei mehrdeutigen Stimuli. Diese P400 setzt Aufmerksamkeit voraus, die Verarbeitung eines 3D-Stimulus jedoch nicht. Wir vermuten, dass vor der Bewusstwerdung eines perzeptuellen Ergebnisses dessen Güte evaluiert werden muss und sich das Ergebnis in der P400-Amplitude widerspiegelt. Die Ergebnisse psychophysischer Studien liefern weitere Hinweise zur Kompatibilität der bisher scheinbar widersprüchlich Bottom-Up- und Top-Down-Ergebnisse aus der Literatur. Bei diskontinuierlicher Präsentation eines Necker-Stimulus zeigt sich eine rechtshemisphärische EEG-Modulation im Gamma-Frequenzbereich etwa 300 ms vor Onset des als gewechselt gesehenen Stimulus. Analog zeigt sich rechtshemisphärische EKP-Modulation vor einem als gewechselt angezeigten binokulären Wettstreit-Reiz. Im Falle von exogen induzierten Wechseln eindeutiger Reize ist keine Prä-Onset EEG-Modulation messbar. Die Resultate dieses Projektes führten uns zu einem neuen konzeptuellen Ansatz, der bisher widersprüchliche Bottom-up- und Top-Down Befunde leicht integrieren kann und gezieltere Fragestellungen für zukünftige Experimente erlaubt. Der P400-Effekt zur Eindeutigkeit visueller Information könnte das erste physiologische Ergebnis-Korrelat eines in der Literatur oft postulierten perzeptuellen Evaluationsprozesses sein. Wahrnehmungswechseln vorausgehende EEG-Signaturen könnten Marker für instabile Hirnzustände sein und als solche zukünftig klinische Relevanz erlangen.