Werben für Europa. Die mediale Konstruktion europäischer Identität durch Europafilme im Rahmen europäischer Öffentlichkeitsarbeit.
Final Report Abstract
Das interdisziplinär angelegte Forschungsprojekt untersuchte auf der Basis von Filmanalysen die Strategien zur Schaffung einer kollektiven europäischen Identität in den Anfangsjahren des europäischen Integrationsprozesses (1948-1970). Anhand der von supranationalen und nationalen Akteuren in Auftrag gegebenen bzw. produzierten Europafilmesollte gezeigt werden, wie durch das Medium Film Europa als gemeinsamer Erfahrungs- und Identifikationsraum konstituiert wurde und durch welche Europabilder – im konkreten wie metaphorischen Sinne − die Identifikation der Bürger mit dem europäischen Einigungsprojekt herbeigeführt werden sollte. In einem ersten Schritt wurden diese zum größten Teil bislang archivalisch nicht erfassten bzw. mitunter als verschollen gegoltenen Filme in in- und ausländischen Archiven und Kinematheken recherchiert und zum ersten Mal filmographisch erfasst, um auf diese Weise den Quellenkorpus „Europafilme“ bzw. „Europawerbefilme“ als Grundlage der Untersuchung zu erschließen.Trotz unerwarteter Schwierigkeiten bei der Recherche und Sichtung des Filmmaterials (keine archivalische Erfassung, bürokratische Hindernisse; Fragen des Urheberrechts usw.) ist es gelungen, für den angegebenen Zeitraum ca. 450 Filme ausfindig zu machen, die in einer eigens entwickelten Datenbank erfasst wurden. Ein Teil der Filme wurde im Rahmen des Projektes digitalisiert und steht jetzt weiteren Benutzern zur Verfügung. Das Projekt leistet somit nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Sicherung des kollektiven Gedächtnisses, sondern bietet auch eine wichtige Grundlage für weitere Forschungen. Ebenso können die filmographisch erfassten und lokalisierten Filme für den Gebrauch im schulischen und universitären Unterricht verwendet werden. Die Auswertung des Filmmaterials sowie des schriftlichen Archivgutes hat wesentliche Erkenntnisse über die Anfänge einer europäischen Öffentlichkeitsarbeit sowie einer europäischen Identitätspolitik hervorgebracht und zur inhaltlichen Konkretisierung des ‚schwammigen‘ Begriffs einer kollektiven europäischen Identität beigetragen. Nicht nur zeigte sich, dass die Anfänge einer europäischen Öffentlichkeitsarbeit bzw. Identitätspolitik zeitlich früher verortet werden müssen als bisher angenommen, sondern auch, dass im Europa der 1950er und 1960er Jahre den Bürgern unterschiedliche Identifikationsangebote unterbreitet wurden bzw. verschiedene Europavorstellungen herrschten. Diese wurden nicht zuletzt durch den amerikanischen Einfluss, die jeweiligen nationalen Identitätskonstruktionen sowie auch durch die transnationale Zusammenarbeit geprägt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass es ab Mitte der 1960er Jahre eine deutliche Akzentverschiebung in den Informationsfilmen bzw. in den Werbestrategiengab. Dies betraf sowohl die eingesetzten filmischen Mittel als auch – insbesondere seit dem Ende der 1960er Jahre – eine deutlich kritischere Darstellung der europäischen Integration. Mit der Fokussierung auf Medien und Identitätskonstruktionen sowie der Einbeziehung verschiedener supranationaler und nationaler Akteure trägt das Projekt zur Neuausrichtung der lange Zeit überwiegend diplomatiegeschichtlich und nationalstaatszentriert ausgerichteten Integrationshistoriographie bei. Zugleich konnte die Bedeutung des Mediums Film als Quelle geschichtswissenschaftlicher Forschung sichtbar gemacht werden. Über die Ergebnisse des Projektes wurde u.a. in einer Broschüre und Ausstellung zur Hamburger Europawoche berichtet; der Norddeutsche Rundfunk hat eine Sendung über das Forschungsprojekt produziert, die dessen wichtigste Ergebnisse sowie Filmausschnitte präsentiert.
Publications
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„Europa 1978“. Öffentlichkeitsarbeit für den europäischen Integrationsprozess, in: Oliver Mentz/Aleksandra Surdeko (Hg.): Europa – Einsichten und Ausblicke, Berlin 2011, S. 111-132
Gabriele Clemens
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‚What Europeans saw of Europe‘. Medial Construction of European Identity in Films and Newsreels in the 1950s, in: Journal of Contemporary European Research 10/1 (2014)
Anne Bruch zus. mit Eugen Pfister
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Europa 1978 – Eine amerikanische Vision der Zukunft Europas in einem dokumentarischen Film von 1958, in: Katharina Gerund/Heike Paul (Hg.): Die amerikanische Reeducation-Politik nach 1945. Interdisziplinäre Perspektiven auf „America‘s Germany“, Bielefeld (2015) S. 93 ff.
Jeanpaul Goergen
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„Après avoir crée un commencement d’Europe, il nous faut des Européens.“ Die Konstruktion einer europäischen Identität durch Europawerbefilme, in: Anna-Margaretha Horatschek u.a. (Hg.): Identitäten im Prozess, Akademie der Wissenschaften (Hamburg): Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Hamburg ; Band 8. Berlin 2016. S. 118 ff.
Gabriele Clemens