Die Entwicklung fachlicher Differenzierung am Beispiel der pharmazeutisch-chemischen Hochschulausbildung, Deutsches Reich und Bundesrepublik Deutschland 1890 - 2000
Final Report Abstract
Das Projekt „Die Entwicklung fachlicher Differenzierung am Beispiel der pharmazeutisch-chemischen Hochschulausbildung, Deutsches Reich und Bundesrepublik Deutschland 1890 – 2000 (DIFA)“ fragte nach den Entstehungsbedingungen und Einflussfaktoren für neue akademische Disziplinen und ihre Zuordnung zu den bisherigen Fächern. Ziel war, die Entwicklungsmöglichkeiten einer neuen Spezialisierung einschätzen zu können. Die Fragestellung wurde auf die fachlichen Entwicklungen an der Grenzlinie zwischen Chemie, Pharmazie und Biologie eingeschränkt. Als mögliche Einflussfaktoren wurden untersucht: der Einfluss der universitären Strukturen (Studien, Promotions- und Habilitationsordnungen, Fakultätstraditionen), der Einfluss der Berufsverbände (z.B. Apothekerverbände) und der Industrie (z.B. große Chemiefirmen), politische Einflussnahme von Seiten der Ministerien, der Einfluss von wissenschaftlichem Fortschritt, und der Einfluss des Arbeitsmarkts. Als das „Nadelöhr“ der fachlichen Ausdifferenzierung stellt sich die akademische Reputation der pharmazeutischen Fächer im Hinblick auf die bestehende disziplinäre Struktur der chemischen und biologischen Fächer heraus. Die disziplinäre Struktur der Chemie ist durch Einigkeit in der Methode – zentral ist die Laborarbeit -, sowie Gleichwertigkeit der Problemfelder gekennzeichnet. Die Biologie war bis in die 1960er Jahre heterogen in den Methoden, aber durchgängig hierarchisch in den Problemfeldern - die „Entstehung des Lebens“ hat höchste Priorität. Damit konnte erklärt werden, dass die pharmazeutisch-chemischen Fortschritte, z.B. in der Galenik, vor 1960 in der Chemie verblieben. Mit dem Aufkommen neuer Verfahren im Rahmen der Erforschung der DNS an der Grenze von Chemie und Biologie ab 1960 waren jedoch fachliche Differenzierungen zu erwarten, die am Ende u.a. in dem neuen Fach der „Biochemie“ mündeten, das sich sowohl nach Methode als auch Aufgabenfeld eigenständig abgrenzen konnte. Die akademische Reputation der Pharmazie war und blieb gering, weil es nicht gelang, selbsttragende pharmazeutisch-akademische Reproduktionszyklen – Forschungsgebiete, Dissertationen, Habilitationen, neue Forschungsgebiete, usw. – zu etablieren. Diese verschiedene akademische Wertigkeit der wissenschaftlichen Methoden und Felder lässt sich aus Archivdokumenten, z.B. zu Verhandlungen über Berufungen oder Habilitationen, gut herauslesen. Die größten und einflussreichsten Berufsverbände im Bereich der Pharmazie, DAV und später ABDA, werteten durch ihre Bemühung um die Wahrung eines „Einheitsstandes“ die Reputationsmöglichkeiten einer fachlichen Differenzierung ab. Förderungen hochschulbezogener Entwicklungen durch die Industrie fanden nur dann statt, wenn Fortschritte in der Methodenentwicklung eines Faches auf den spezifischen Bedarf eines Anwendungsgebietes trafen, und geschahen ohne Ansehen bestimmter Spezialisierungen.
Publications
- Institutionalisierung ohne Reputationsgewinn. Die unvollständige Etablierung der Pharmazie an den Hochschulen des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik bis in die 1970er Jahre, in: Medizinhistorisches Journal, 46/2011, S. 238-282
Hartig, Christine
- Professionalisierung als Lückenstrategie. Die (Selbst-)Beschränkung der Apothekerverbände auf die 'öffentliche' Apotheke als Kernerwerb 1910-1965. Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, 1/2012, S.16-42
- Was beeinflusst die Entstehung und Verfestigung einer universitären Fachrichtung? Die Entwicklung der Pharmazie an deutschen Universitäten 1890-1970. Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, Vol. 36(2013), Heft 1:7-28
Christine Hartig, Jörg Janßen, Volker Müller-Benedict und Jan Weckwerth